Das ist ziemlich beklagtisch!

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Ein Kollege verwendet in seinem Schriftsatz konsequent das Wort “beklagtisch”. Ob das deutsche Sprache sei, das hat sich auch der Kollege Steiger bereits 2013 auf Twitter gefragt.

Laut Duden wohl eher nicht:

Leider haben wir zu Ihrer Suche nach ‘beklagtisch’ keine Treffer gefunden.

Frägt man Dr. Google, so findet man diesen schönen Auszug aus dem Buch “Recht Und Sprache” von Ludwig Günther, der Anno 1898(!) schon geschrieben hat (S. 170):

Schon das Adjektivum „beklagtisch“, das jener Adverbialbildung zu Grunde liegt, erscheint unzulässig, da ein einmal zum Hauptwort gewordenes Partizip („der Beklagte”) nicht wieder in ein Eigenschaftswort umgebildet werden kann.

Bei aller Freude am Juristendeutsch: Dem schließe ich mich an!

Neuer Server und Blog-Ausfall

traffic-sign-6616_640Einige werden es gemerkt haben, der Server war über das Wochenende und heute nicht erreichbar. Schuld ist eine Umstellung meines Webhosters, der leider zu einer falschen Konfiguration geführt hat, die ich erst heute nachmittags lösen konnte.

Jetzt sollte alles wieder funktionieren und dank Let’s Encrypt ist der Blog nun auch TLS verschlüsselt. Falls jemanden doch noch Fehler auffallen, bitte ich um Meldung!

beA wohl nicht kompatibel mit § 53 BRAO [Update]

§ 53 BRAO regelt die Bestellung eines allgemeinen Vertreters für den Fall, dass ein Rechtsanwalt für länger als eine Woche abwesend oder berufsunfähig ist. Dies ist besonders wichtig für Mandanten, damit auch bei längerer Abwesenheit des beauftragten Rechtsanwalts kein Stillstand eintritt. Wenn der Rechtsanwalt nicht freiwillig einen Vertreter bestellt, so hat die für ihn zuständige Rechtsanwaltskammer (RAK) auch gegen seinen Willen von Amts wegen einen Vertreter bestellen (§ 53 V BRAO). Und weil der Vertreter dafür sorgen soll, dass die Mandate des Kollegen notfalls auch gegen seinen Willen betreut werden können, regelt § 53 X BRAO u. a. folgendes:

Der von Amts wegen bestellte Vertreter ist berechtigt, die Kanzleiräume zu betreten und die zur Kanzlei gehörenden Gegenstände einschließlich des der anwaltlichen Verwahrung unterliegenden Treugutes in Besitz zu nehmen, herauszuverlangen und hierüber zu verfügen. An Weisungen des Vertretenen ist er nicht gebunden. Der Vertretene darf die Tätigkeit des Vertreters nicht beeinträchtigen. […]

Das bedeutet, dass der Vertreter wie der Vertretene agieren können soll und muss, um Schaden von den Mandanten abzuwenden, also vor allem auch Briefpost und andere Dokumente entgegennehmen und einzusehen.

Als man das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) erdacht hat, hat man scheinbar diese Regelung übersehen. Denn wie mir die nette Dame von der BRAK auf meine E-Mail vom letzten Monat so hilfreich geantwortet hat, hat

aufgrund der hohen Sicherheitsanforderungen im beA-System […] niemand außer dem Postfachinhaber und von ihm authorisierte Personen Zugriff auf die Nachrichteninhalte in einem beA. Ohne das Zutun des vertretenen Rechtsanwalts kann die zuständige RAK den amtlich bestellten Vertreter lediglich insoweit berechtigen, dass er eine Übersicht aller Nachrichten ohne die Betreffzeile sieht. Dies liegt daran, dass auch die Betreffzeile Ende-zu-Ende verschlüsselt ist und daher nicht von unberechtigten Dritten eingesehen werden kann.

Logische Folge für den Fall, dass das beA irgendwann mal kommt und tatsächlich eingesetzt wird: Die RAK kann einen Vertreter von Amts wegen bestellen, wenn dieser aber seine Mitarbeit verweigert, kann der auf das beA nicht zugreifen und damit keine dadurch zugestellten Dokumente einsehen. Ob das so gewollt war?

Update (2502.2016, 16.05 Uhr):

Wie ein aufmerksamer Leser im Kommentar (s. u.) mitgeteilt, könnte sich das selbe Problem auch im Rahmen des § 55 BRAO stellen, wenn der Rechtsanwalt verstorben (§ 55 I) oder seine Zulassung erloschen (§ 55 VI) ist.

Das Problem mit dem “Potenzbeschleuniger”

Direkt neben dem großen (gemeindeeigenen und kostenlosen) Parkplatz befinden sich unsere Kanzleiräume. Vor dem Haus sind einige Privatparkplätze ausgewiesen, welche über eine Zufahrt zu erreichen sind, die rechts von der Einfahrt zum Parkplatz wegführt.

Direkt in die Einfahrt und mitten in die Zufahrt stellte ein netter Mitbürger, welcher möglicherweise etwas zu kompensieren hat seinen BMW X5 (“Potenzbeschleuniger”) ab – wohl weil ihm das fast komplett leere Parkplatz nicht gefällt – und geht. Als man nach längerer Zeit herausfinden kann, wer er ist und wo er ist, eilt er nach einem entsprechend “netten” Anruf herbei, um wegzufahren.

Und wohin? Genau: Auf den einzigen Behindertenparkplatz des Geländes. Ein Schelm, wer jetzt Böses denkt 😉

Unnötiges Anwaltsschaulaufen

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“Sammeltermin”. Das Wort allein verursacht bei den meisten altgedienten Kollegen ein Schaudern. Und das zu Recht.

Unter Sammeltermin versteht man die Praxis, mehrere frühe erste Termine (§ 275 ZPO) – meist ein Dutzend oder mehr (oder im Fall von BVerfG NJW 1985, 1149, auch mal 50+ Verfahren) – auf die gleiche Uhrzeit zu legen und die Kollegen dann alle herbeieilen zu lassen, um sich um die Rangfolge zu zoffen, denn wer zuerst kommt (meist viel früher als terminiert), der mahlt zuerst. Im Termin sitzen dann ca. 20 Anwälte hinten drin und ärgern sich, dass sie wohl 2-3 Stunden umsonst im Gericht verbringen, bis die Sachen vor ihnen abgearbeitet sind.

Kein Wunder also, dass Sammeltermine verpöhnt und aus der Sicht der meisten Kollegen auch zumindest nach der ZPO-Reform 2002 unzulässig sind (vgl. Schirp, BRAK-Mitt. 1/2003, S. 6). Die allermeisten Richter haben schon aus Eigeninteresse davon Abstand genommen und wählen lieber das schriftliche Vorverfahren nach § 276 ZPO, um möglichst früh schon alle entscheidenden Fragen zu klären; außerdem hat dieses Verfahren den Vorteil der Möglichkeit, durch Versäumnisurteil nach § 331 III ZPO entscheiden zu können, wenn keine Verteidigungsanzeige eingeht.

Ein paar Richter sträuben sich jedoch noch, dem Sammeltermin Lebewohl zu sagen. Zu einem solchen darf ich dann auch gehen am Mittwoch. Achja, die Klageerwiderung kam natürlich erst, als der Mandant – der Beklagten bekannt – im Urlaub war. Ich habe das Gericht daher um Terminsverlegung gebeten, weil ich mich ohne Rücksprache ohnehin nicht erklären könne. Der Richter hat dies abgelehnt.

So stehe ich also am Mittwoch extra früh auf, um bei Gericht möglichst früh dran zu kommen. Ich fürchte nur, die Kollegen werden das Gleiche tun…

Wenn der Staatsanwalt persönlich jede Frage beantworten muss

Die Staatsanwaltschaften – wie alle Behörden – stöhnt gerne über ihre Arbeitsüberlastung. Dass davon einiges hausgemacht ist, relativiert das Mitleid, dass man vielleicht haben möchte aber wieder.

Schreiben von der Staatsanwaltschaft B: Die beantragte Akte liegt zur Abholung an der Pforte bereit. Aufs Aktenzeichen geguckt – ja, das ist schon unser Aktenzeichen und unser Mandant. Nur war die Sache nicht bei der Staatsanwaltschaft A? Mal nachgeguckt in der Akte: Ja, war es. Von dort kam die Akte auch schon mal. Und an diese wurde auch schon eine Stellungnahme geschickt.

Was macht der Anwalt in dieser Situation, modern wie er ist? Richtig, er ruft die Geschäftsstelle an und fragt einfach mal nach, ob denn da Akten von A nach B gewandert sind, weil dann braucht er nicht zur 30 km entfernten Staatsanwaltschaft fahren, um die Akten zu holen. Die Dame am Telefon will helfen, könne dies aber nicht sagen. Die Akten seien ja auch beim Pförtner, da kann man jetzt nicht reingucken. Im System sei nichts. Ihre Lösung: Wir mögen doch ein Fax reinschicken mit der Frage, ob es die gleichen Akten sind. Dann könne sie das dem Staatsanwalt vorlegen.

Wieso man zwei Staatsexamina braucht, um die Frage zu beantworten, habe ich dann aber nicht gefragt. Interessant zu wissen wäre es sicher schon.

Akten Ping-Pong

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Nimmt ein Richter seinen Auftrag im Zwischenverfahren ernst, so kann es schon mal sein, dass er die Akten post-wendend an die Staatsanwaltschaft zurückschickt, weil diese nicht sauber und ausführlich genug ermittelt haben. Dann ist die Nachermittlung angesagt.

Gefällt ihm das Ergebnis der Nachermittlung nicht oder (eher noch) weist ihn der Verteidiger darauf hin, dass das Ergebnis der Nachermittlung von minderer Qualität ist, so schickt er die Akten auch noch ein zweites, drittes, viertes etc. Mal zurück. Vielleicht auch so lange, bis es dem Staatsanwalt zu bunt wird und er einer anderen Erledigung des Verfahrens zustimmt.

In einem solchen Fall wird seit 2012 ermittelt. Die Staatsanwaltschaft hat sich Zeit gelassen und es auch nicht für erforderlich erachtet, die einzige Belastungszeugin – trotz hohen Alters – richterlich vernehmen zu lassen bevor sie 2014 verstorben ist. Der Richter hat die Akte mehrmals zurück geschickt, weil noch Sachen zu ermitteln waren und simpelste Sachverhalte nicht eigenständig aufgeklärt wurden (z. B. wie die angeblich quasi blinde, vollkommen verwirrte Geschädigte zur angeblichen Tatzeit noch 3 Tageszeitungen lesen konnte und ein Betreuungsverfahren zwei Jahre später mit der Begründung eingestellt wurde, dass keine Betreuung erforderlich sei). Schließlich hat er sie noch zweimal zurück geschickt mit der Bitte um Mitteilung, ob die Staatsanwaltschaft wirklich an der Anklage festhalten wolle.

Die Staatsanwältin wollte leider fleißig Ping-Pong spielen und erklärte, trotz allem an der Anklage festhalten zu wollen. Nun ist wohl abzuwarten, wie das Ganze in der Hauptverhandlung in Verlängerung geht.

AllgM? Was ist denn das? II

Aus der Reihe “Nur weil es alle so machen, muss es noch nicht stimmen” in einer mietrechtlichen Sache heute der Vortrag eines Kollegen zu § 573 BGB im Schreiben an die Mandantschaft:

Die Gründe für eine ordentliche Kündigung sind im Gesetz abschließend geregelt.

Hierzu die allgemeine Meinung, zitiert nach Blank in Schmidt-Futterer, Mietrecht, 11. Auflage 2013, § 573 Rn. 187a (mit Hervorhebungen):

Aus dem Wortlaut des § 573 Abs. 2 BGB („insbesondere“) folgt, dass die möglichen Kündigungsgründe in Abs. 2 nicht abschließend aufgezählt werden. Vielmehr stellt das Gesetz mit § 573 Abs. 1 BGB einen generalklauselartigen Kündigungstatbestand zur Verfügung, der den in § 573 Abs. 2 BGB beispielhaft genannten Kündigungsgründen nach allgemeiner Meinung gleichgewichtig ist.

Aber man kann es ja mal versuchen…

“Die Geschichte glaub ich Ihnen nicht”

So kann man die Urteilsbegründung zusammenfassen, aufgrund derer sowohl das AG wie auch das LG den Mandanten wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr (§ 316 StGB) verurteilt haben.

Das ist passiert:
Der Mandant – erkannt, dass er möglicherweise fahruntüchtig sein wird – hat vor seinem Besuch der Kneipe seinen Bruder gebeten, ihn nachts mit seinem Pkw heimzufahren. Um halb eins nachts ist er dann auch zum Bruder in dessen nahegelegenes Haus gekommen, der extra wach geblieben war. Man fuhr Richtung Heimatort des Mandanten, bis der Bruder aufgrund eines eigenen Fahrfehlers von der Straße abkam und im Graben liegen blieb. Der Pkw war nicht mehr zu bewegen, der Bruder aufgrund eines kurz vorher erfolgten zahnärztlichen Eingriffs und dem nun gefolgten Streit mit seinem Bruder wegen des weiteren Vorgehens so verärgert, dass er kurzerhand nach Hause geht. Am nächsten Tag erzählt er seiner Frau davon. Der Mandant glaubt, der Wagen stehe noch teilweise auf der Straße und versucht diesen zu bewegen, was aber nicht klappt, weil er aufliegt. Erst jetzt kommen zwei Zeugen hinzu und sehen ihn am Steuer.

Für den Staatsanwalt war die Sache klar: Der Mandant war gefahren, schließlich war er ja dort. Der Hinweis auf die Fahrereigenschaft des Bruders wird geflissentlich ignoriert und die Anklage geschrieben. Amtsrichterin – nach kurzer Verhandlung – und Landgericht – nach ausführlicher Beweisaufnahme wobei u. a. festgestellt wird, dass der Mandant nie betrunken fährt, sondern immer mit dem Taxi heimfährt nach solchen Abenden – kamen beide zu dem selben Ergebnis, dass sie die Geschichte des Mandanten nicht glauben wollen und haben ihn verurteilt. Gegen den Bruder wird nun wegen vorsätzlicher uneidlicher Falschaussage (§ 153 StGB) ermittelt.

Nun mag man von der Geschichte halten, was man will. Fakt ist aber, dass die Tat, zu der er verurteilt, nicht nachgewiesen werden konnte. Tatsächlich das Fahrzeug führen i. S. d. § 316 StGB hat ihn keiner gesehen. Wie in dem hier beschriebenen Fall reichte vielmehr allein die Tatsache seiner Anwesenheit im Auto aus, um ihn zu verurteilen.

Rechtsschutzverweigerungsversicherung

In dem hier beschriebenen Fall haben wir unsere Tätigkeit gegenüber der Rechtsschutzversicherung (RSV) des Mandanten, der ÖRAG, abgerechnet. In insgesamt 14 Fällen – der Arbeitgeber war leider fleißig bei seinen Rechtsverletzungen – sind wir außergerichtlich tätig geworden. Da kam dann ein Gegenstandswert von knapp 70.000 € zusammen (durch Zusammenrechnung nach § 22 RVG).

Verkomplizierend (für die ÖRAG) kam hinzu, dass der Mandant nur bis 2006 und dann ab 2013 (unter neuer Nummer) rechtsschutzversichert war.

So ging das Spiel also los:

  • Erste Antwort: Keine Übernahme, weil ja nur bis 2006 versichert.
    Mitgeteilt, dass Nachfolgevertrag besteht.
  • Zweite Antwort: Keine Übernahme, weil Fälle aus 2012 seien.
    Mitgeteilt, dass das nicht stimmt und nicht erklärlich ist, wieso das angenommen wurde.
  • Dritte Antwort: Keine Übernahme, weil gerichtlich ein Abgeltungsvergleich geschlossen worden sei.
    Mitgeteilt, dass sich Abgeltung nicht auf diese Fälle bezieht (was auch im Vergleich klar drin steht)
  • Vierte Antwort: Keine Übernahme, weil ja nur bis 2006 versichert.
    Nochmals auf Nachfolgevertrag hingewiesen, weil bei ÖRAG ja scheinbar keiner die Akten liest.

Erst nach mehreren Faxen und Telefonaten hat sich bei der RSV jemand gefunden, der bereit war, sich tatsächlich mit dem Fall zu beschäftigen. Das Ergebnis aber leider das selbe: keine Übernahme.

Das Argument des Sachbearbeiters: Es sei ja eine Selbstbeteiligung von 150,00 € abzuziehen für jeden Gegenstand, das stünde so in den ARB. Also müsste man 14 × 150,00 € = 2.100,00 € Selbstbeteiligung abziehen und dann bliebe ja nix mehr übrig von der 1,3-Geschäftsgebühr von 2.085,95 € (inkl. Mwst. und Portopauschale). Abgesehen davon, dass wir aufgrund des Umfangs der Sache eine 2,0-Gebühr abgerechnet hatten, favorisiert die ÖRAG eine Auslegung ihrer ARB, die darauf hinausläuft, dass der Versicherungsnehmer im Ernstfall gar keine Leistungen erhält.

Ob der Mandant, der die Rechnungen dann wohl demnächst selbst bekommt, weiterhin dort versichert bleiben will, wage ich zu bezweifeln.

PS:
Die sieben Beratungsrechnungen sind auch alle nicht bezahlt worden, weil die Angabe der Tätigkeit zu vage gewesen sei. Dass ich der Kollegin am Telefon das alles schon ausführlich erklärt hatte, beeindruckte den Sachbearbeiter nicht.