Typisch deutsche Lösungen

Es kommt, es kommt! Die Anwaltschaft Deutschlands ist vollkommen überfordert mit der “Scharf”schaltung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA) zum 01.01.2018. Nach Jahren von Ankündigungen und Androhungen stellen viele Kollegen nunmehr fest, dass sie aber auch gar nichts gemacht haben, um das beA nutzen zu können. Abgesehen davon, dass dessen Nutzbarkeit – wie für ein deutsches öffentliches Softwareprojekt typisch – nur sehr eingeschränkt besteht, fehlt es landauf und landein an entsprechenden Zugangskarten und Kartenlesern. Von Schnittstellen für die üblichen Anwaltssoftware-Produkte ganz zu schweigen.

Diese Lücke will nun der Dienstleister Soldan mit seinen “beA-Services” füllen. Als “Lösungen” für das Problem bietet Soldan zwei Möglichkeiten an, bei denen man getrost sagen darf, dass sie “typisch deutsch” sind: Soldan bietet an, die elektronische verschlüsselte Post für den Anwalt aus dem beA zu holen und dann entweder per Post(!) oder per unverschlüsselter E-Mail an den Anwalt weiter zu senden.

Dafür also haben wir Millionen für die Entwicklung eines sicheren Kommunikationssystems für Anwälte ausgegeben…


Fun fact am Rande: In Österreich gibt es die Möglichkeit der elektronischen Kommunikation mit Gerichten seit 1990(!) und die Nutzung für Anwälte seit 1999(!!) verpflichtend. Ich bin mir sicher, dass manch österreichischer Kollege aus dem Lachen nicht mehr herauskommt, wenn er hört, dass wir es Anfang 2018 noch immer nicht geschafft haben, ein funktionierendes System zu schaffen.

beA (mal wieder) auf unbestimmte Zeit verschoben

Nachdem einige Kollegen im Eilrechtsschutzverfahren bei dem AGH Berlin eine einstweilige Verfügung gegen die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) erwirkt haben, das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) bei ihnen nicht auf Empfangsbereitschaft umzustellen (lto.de berichtet), erklärt die BRAK nun,

dass es das von ihr zum beA entwickelte technische System nicht erlaubt, die Empfangsbereitschaft der Postfächer einzeln zu steuern. Sie wird deshalb wegen der jetzt bestehenden Gesetzes- und Rechtslage bis zum Abschluss des – in einem Fall bereits eingeleiteten – Hauptsacheverfahrens von der Einrichtung empfangsbereiter beAs für alle Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte in Deutschland absehen.

(Quelle: Presseerklärung der BRAK vom 09.06.2016)

Da nicht abzusehen ist, wann das Hauptsacheverfahren zu Ende ist, ist die Einrichtung damit auf unbestimmte Zeit verschoben. Nach der Verschiebung vom letzten Jahr nun schon das zweite Mal, dass der geplante Termin (diesmal 29.09.2016) nicht einzuhalten sein wird.

Wie ein Kollege so schön festgestellt hat: beA und BER trennen nur ein Buchstabe. 😉

PS: Vorteil der Verschiebung ist, dass die BRAK vielleicht sicherstellen könnte, dass bis zum Start dann wirklich auch die versprochenen Schnittstellen für die Anwaltssoftwaren zur Verfügung stehen. Das scheint nämlich bisher nicht der Fall zu sein.

PPS: Wie einige Kollegen auf der Anwalt-Liste zu Recht hingewiesen haben, erscheint die Begründung der BRAK nicht wirklich nachvollziehbar, denn angesichts der Tatsache, dass nahezu täglich neue Rechtsanwälte zugelassen werden und andere aus verschiedenen Gründen den Beruf nicht mehr ausüben können, ist es zwingend erforderlich, dass die Möglichkeit bestehen muss, Rechtsanwälte hinzuzufügen oder zu entfernen. Wenn die Freischaltung nur für alle gleichzeitig technisch möglich wäre, würde dies ja bedeuten, dass keine neuen Postfächer hinzugefügt und keine bestehenden entfernt werden können. Andererseits, ausschließen will ich diese Möglichkeit nicht. Sie würde dem übrigen “Meisterleistungen” der BRAK in dieser Angelegenheit entsprechen…

beA wohl nicht kompatibel mit § 53 BRAO [Update]

§ 53 BRAO regelt die Bestellung eines allgemeinen Vertreters für den Fall, dass ein Rechtsanwalt für länger als eine Woche abwesend oder berufsunfähig ist. Dies ist besonders wichtig für Mandanten, damit auch bei längerer Abwesenheit des beauftragten Rechtsanwalts kein Stillstand eintritt. Wenn der Rechtsanwalt nicht freiwillig einen Vertreter bestellt, so hat die für ihn zuständige Rechtsanwaltskammer (RAK) auch gegen seinen Willen von Amts wegen einen Vertreter bestellen (§ 53 V BRAO). Und weil der Vertreter dafür sorgen soll, dass die Mandate des Kollegen notfalls auch gegen seinen Willen betreut werden können, regelt § 53 X BRAO u. a. folgendes:

Der von Amts wegen bestellte Vertreter ist berechtigt, die Kanzleiräume zu betreten und die zur Kanzlei gehörenden Gegenstände einschließlich des der anwaltlichen Verwahrung unterliegenden Treugutes in Besitz zu nehmen, herauszuverlangen und hierüber zu verfügen. An Weisungen des Vertretenen ist er nicht gebunden. Der Vertretene darf die Tätigkeit des Vertreters nicht beeinträchtigen. […]

Das bedeutet, dass der Vertreter wie der Vertretene agieren können soll und muss, um Schaden von den Mandanten abzuwenden, also vor allem auch Briefpost und andere Dokumente entgegennehmen und einzusehen.

Als man das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) erdacht hat, hat man scheinbar diese Regelung übersehen. Denn wie mir die nette Dame von der BRAK auf meine E-Mail vom letzten Monat so hilfreich geantwortet hat, hat

aufgrund der hohen Sicherheitsanforderungen im beA-System […] niemand außer dem Postfachinhaber und von ihm authorisierte Personen Zugriff auf die Nachrichteninhalte in einem beA. Ohne das Zutun des vertretenen Rechtsanwalts kann die zuständige RAK den amtlich bestellten Vertreter lediglich insoweit berechtigen, dass er eine Übersicht aller Nachrichten ohne die Betreffzeile sieht. Dies liegt daran, dass auch die Betreffzeile Ende-zu-Ende verschlüsselt ist und daher nicht von unberechtigten Dritten eingesehen werden kann.

Logische Folge für den Fall, dass das beA irgendwann mal kommt und tatsächlich eingesetzt wird: Die RAK kann einen Vertreter von Amts wegen bestellen, wenn dieser aber seine Mitarbeit verweigert, kann der auf das beA nicht zugreifen und damit keine dadurch zugestellten Dokumente einsehen. Ob das so gewollt war?

Update (2502.2016, 16.05 Uhr):

Wie ein aufmerksamer Leser im Kommentar (s. u.) mitgeteilt, könnte sich das selbe Problem auch im Rahmen des § 55 BRAO stellen, wenn der Rechtsanwalt verstorben (§ 55 I) oder seine Zulassung erloschen (§ 55 VI) ist.

So kann man E-Mails natürlich auch “bearbeiten”

Die BRAK, der meine Kollegen und ich qua Gesetz angehören, bietet auf ihrer Homepage u. a. eine Jobbörse, bei der Rechtsanwälte und solche, die es werden wollen, kostenlos Stellenangebote und -gesuche veröffentlichen lassen können.

Am 15.05.2013(!) habe ich von dieser Möglichkeit auch Gebrauch machen wollen (frisch vom Examen) und eine E-Mail an die Adresse der BRAK geschickt. Danach: Das große Schweigen…

…bis mich heute folgende E-Mail-Benachrichtigung erreicht hat:

Ihre Nachricht

   An: Jobboerse (BRAK)
   Betreff: Stellengesuch
   Gesendet: Mittwoch, 15. Mai 2013 15:44:12 (UTC+01:00) Amsterdam, Berlin, Bern, Rom, Stockholm, Wien

 wurde am Donnerstag, 31. Juli 2014 13:19:17 (UTC+01:00) Amsterdam, Berlin, Bern, Rom, Stockholm, Wien ungelesen gelöscht.

So kann man E-Mails natürlich auch “bearbeiten”…