Plötzlicher Sinneswandel

Vor dem Amtsgericht wird gestritten über die Wirksamkeit einer Erledigterklärung, nachdem der Beklagte aufgrund eines Versäumnisurteils zwangsgeräumt wurde.

Der Klägervertreter ist sich da ganz sicher:

Zu der Räumung gilt es anzumerken, dass der Beklagte einen klar bekundeten Räumungswillen vorgegeben hat, mithin nicht aufgrund des Drucks der Zwangsvollstreckung räumte, sondern, im Zuge eines Sinneswandels, endlich einmal der Rechtsordnung treu sein, selbst, unter Beiziehung der Klägerin und Hilfspersonen, den Besitz an den streitgegenständlichen Wohnräumen aufgegeben hat.

Meine Reaktion nachdem ich das gelesen habe dürfte leicht zu erraten sein.

Der Rest des Schriftsatzes ist leider auch nicht besser…

Innerer Dissens

Aus dem Schriftsatz eines Beklagten:

Der Beklagte hat erst am 15.02.2018 erfahren, dass der Kläger Zugriff auf die Konten seiner Kollegen hatte.

Auch aus einem Schriftsatz dieses Beklagten:

Der Kläger hat am 10.01.2018 [sic!] gegenüber dem Beklagten zugegeben, auf die Konten seiner Kollegen zugegriffen zu haben.

Ich bin fast versucht, dies einfach so hintereinander zu zitieren und den Richter selbst darauf kommen zu lassen, dass hier irgendwas nicht stimmen kann…aber auch nur fast…

“Wieso sind nur alle so gemein zu ihr?”

Zitat aus einem Beklagtenschriftsatz:

Seit mehr als 40 Jahren wohnt die Beklagte auf ihrem Anwesen […]. Die nunmehr […]-jährige Beklagte möchte auf ihrem Anwesen in Ruhe ihren Lebensabend verbringen und hat keinerlei Interesse an irgendwelchen Streitigkeiten und Auseinandersetzungen mit den Klägern. Es ist für sie deshalb nicht nachvollziehbar, warum die Kläger sie seit langem mit einem angeblich nicht korrekten Baumwuchs ihrer Bäume belästigen, die sich auf dem Grundstück der Beklagten befinden.

Ja, die Kläger sind schon gemein. Fordern die doch tatsächlich, dass die “arme alte Frau” ihre morschen Bäume sichert, damit sie nicht auf das Haus der Kläger fallen. Was für eine unverschämte Gemeinheit!((Die Kläger waren so gemein, dass sie der armen alten Dame sogar angeboten haben, die Arbeiten selbst zu übernehmen. Das wollte sie aber natürlich auch nicht.)) Was mich an einem solchen Schriftsatz aber mehr verwundert ist, wieso der Kollege der Auffassung ist, dass sich eine erfahrene Berufsrichterin auch nur in irgendeiner Weise davon beeindrucken lassen könnte..

Wie man Freunde nicht gewinnt

Zitate aus einem Schriftsatz eines Kollegen:

[…] die vom Gericht unreflektiert übernommene Logik-Absenz des Klägervortrags […]

Das Gericht wird, nachdem es bislang jeglichen Vortrag der Beklagtenseite zu ignorieren geneigt war, nunmehr, nachdem es  […] auf die Unzulänglichkeiten seiner Überlegungen hingewiesen wurde, seine Verfahrensführung zu überdenken haben.

[…] deren Beachtung durch das Gericht bislang nicht erkennbar sind.

Das Gericht ist weiter darauf aufmerksam zu machen, dass sein Hinweis […] eine wenig sorgfältige Arbeitsweise nahelegt.

Ich bin ja kein Hellseher, aber wenn jetzt ein Hinweis des Gerichts folgen würde, in dem sinngemäß steht “Du hast recht, ach du wunderbar schlauer Anwalt, ich bin so blöd und hab alles falsch gemacht, kannst du mir verzeihen?”, wäre ich schon sehr überrascht 😉

Lösung zu Rätsel I: Die “fehlende” Aktivlegitimation

Wie versprochen die Lösung zum Beitrag “Rätsel I: Die „fehlende“ Aktivlegitimation”.

Der Benutzer “R2D2” hat es in seinem Kommentar schon angesprochen, was das Problem sein dürfte: Nämlich, dass der Kollege mehrere Begriffe durcheinander gebracht hat, die so nicht zusammen gehören.

Zur Erläuterung: Wer sich im Zivilprozess auskennt, kennt folgende Definitionen:

Aktivlegitimation, die: die sachliche Befugnis, über den Anspruch zu verfügen und ihn geltend zu machen.
Aktivlegitimiert ist also der materiellrechtliche Gläubiger eines Anspruchs. Spiegelbildlich ist passivlegitmiert der materiellrechtliche Schuldner eines Anspruchs. Die Frage der Aktiv- bzw- Passivlegitimation ist eine Frage der Begründetheit der Klage.((vgl. Zöller30Vollkommer, vor § 50 Rn. 18))

Parteifähigkeit, die: die Fähigkeit, Partei in einem Prozess zu sein.
Die Parteifähigkeit entspricht gem. § 50 ZPO der Rechtsfähigkeit, parteifähig sind also alle natürlichen und rechtsfähigen juristischen Personen.

Prozessfähigkeit, die: die Fähigkeit, den Prozess zu führen.
Prozessfähig ist gem. §§ 51, 52 ZPO i. V. m. den Regelungen des bürgerlichen Rechts grundsätzlich jede Partei, die sich durch Verträge verpflichten kann, also auch juristische Personen.((vgl. Zöller30Vollkommer, § 52 Rn. 2 a. E.)) Vor Gericht handelt die prozessfähige Partei je nach Erforderlichkeit vertreten durch ihre gesetzlichen Vertreter (geschäftsunfähige natürliche Personen oder juristische Personen).

Prozessführungsbefugnis, die: das Recht, den Rechtsstreit in eigenem Namen zu führen.
Prozessführungsbefugt ist grundsätzlich derjenige, dem der Anspruch zusteht, daneben aber auch alle Personen, denen der Aktivlegitimierte das Recht zur Prozessführung übertragen hat.((vgl. Zöller30Vollkommer, vor § 50 Rn. 18 a. E.))

Postulationsfähigkeit, die: die Fähigkeit, vor Gericht rechtswirksam prozessual zu handeln
Vor den Amtsgerichten ist die Partei postulationsfähig (§ 79 ZPO), vor der Land- und Oberlandesgerichten nur ein Rechtsanwalt (§ 78 ZPO), vor dem BGH nur in dort zugelassener Rechtsanwalt.

Die Aktivlegitimation ist also eine Frage der Begründetheit der Klage (“Existiert der Anspruch und wenn ja, steht er der Klägerin wirklich zu?”). Die Prozessfähigkeit betrifft dagegen nur die Frage, ob die Klägerin, wenn ihr der Anspruch denn zusteht, selbst Partei eines Prozesses sein kann. Dies ist nach h. M. zu bejahen, sie handelt dabei durch ihre gesetzlichen Vertreter. Deren Benennung ist nach § 130 Nr. 1 ZPO nicht zwingend (“sollen enthalten”). Zwingender Inhalt der Klageschrift ist die Angabe des Vertreters, der sowohl für Gericht wie auch Gegenseite eindeutig bestimmbar ist, jedoch nie.

Die Antwort des Rätsels lautet also: Das Bestreiten der Aktivlegitimation kann keine Aussicht auf Erfolg haben, weil das vom Beklagten genannte Problem gar nicht die materielle Rechtslage betrifft.

Rätsel I: Die “fehlende” Aktivlegitimation

Der Kollege Burhoff veröffentlicht in seinem Blog regelmäßig sog. “Freitagsrätsel”. Davon habe ich mich etwas inspirieren lassen und will mal probieren, auch in regelmäßigen Abständen, wenn auch nicht wöchentlich, Rätsel oder Fragen zu posten, die mir in der täglichen Praxis begegnen.

Den Anfang macht ein Zitat aus dem Schriftsatz eines Kollegen:

Die Aktivlegitimation der Klägerin wird dergestalt bestritten, dass die Klägerin selbst nicht prozessfähig ist. Hierfür bedarf es einer Vertretung. Eine solche Vertretung ist seitens der Klagepartei nicht vorgegeben.

Bei der Klägerin handelt es sich um eine juristische Person. Durch wen sie vertreten wird, ergibt sich tatsächlich nicht aus der Klage, aber eindeutig aus dem Gesetz. Der Vertreter existiert auch, was dem Kollegen definitiv bekannt ist.

Die Frage lautet somit: Hat dieses Bestreiten der Aktivlegitimation Aussicht auf Erfolg?

Antworten in den Kommentaren bitte. Die Lösung dann im Laufe der Woche.

Wenn außer den Parteien keiner dabei war…

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Im Zivilprozess gilt grundsätzlich eine ganz einfache und eingängige Regel: Wer etwas vorträgt, das zu einem für ihn gewünschten rechtlichen Ergebnis führen soll, der muss dies auch beweisen. Dass das sinnvoll ist, dass weiß jeder gute Beamte, lautet doch Regel Nr. 3 des Beamten-Dreisatzes: “Da könnte ja jeder kommen!”.

Also muss die Partei eines der in der ZPO genannten Beweismittel benennen, nach dessen Erhebung das Gericht sich wie gewünscht überzeugt haben soll. Die häufigsten Beweismittel sind der Zeugenbeweis (zugleich der unzuverlässigste), der Augenschein und das Sachverständigengutachten.

Problematisch wird es für die beweisbelastete Partei – und in der Folge auch für ihren Anwalt – wenn, wie recht häufig, keine Beweismittel existieren außer die eigene Wahrnehmung der Partei und auch keine objektiven Tatsachen vorhanden sind, an die ein Sachverständiger anknüpfen könnte. Denn der Vortrag der Partei ist grundsätzlich nicht ausreichend, wenn der Gegner ihn bestreitet. Denn der Gegner kann in der Regel keinen Gegenbeweis führen, dass etwas gerade nicht geschehen ist.

Ganz unmöglich ist es jedoch nicht, die Partei wie einen Zeugen zu vernehmen. Hierzu hat der Gesetzgeber nämlich die Parteieinvernahme (§§ 447 ff. ZPO) geschaffen. So ist die Einvernahme einer Partei dann möglich, wenn dies beantragt wird und der Gegner ihr zustimmt. Das Ziel eines taktisch denkenden Anwalts wird daher immer sein, die Einvernahme der eigenen Partei zu erreichen und die Einvernahme der gegnerischen Partei zu verweigern.

Stimmt der Gegner nicht zu, so regelt § 448 ZPO, dass das Gericht die Einvernahme auch von Amts wegen “ohne Antrag einer Partei und ohne Rücksicht auf die Beweislast” durchführen kann, wenn “das Ergebnis der Verhandlungen und einer etwaigen Beweisaufnahme nicht ausreicht, um seine Überzeugung von der Wahrheit oder Unwahrheit einer zu erweisenden Tatsache zu begründen. Erforderlich ist daher, dass der Träger der Beweislast bereits einen Anfangsbeweis erbracht hat und eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die zu beweisende Tatsache spricht (h. M.). Kann der Beweisbelastete also nicht einmal Anknüpfungspunkte beweisen, aus denen sich die Wahrscheinlichkeit für die zu beweisende Tatsache ergibt, so scheidet die Parteieinvernahme von Amts wegen aus (vgl. LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15.05.2002 – Az. 10 Sa 69/02).

Erforderlich ist zusätzlich, dass die Tatsache, der zu beweisen ist, möglichst genau substantiiert wird. Denn wenn es zu einer Parteieinvernahme kommt, trägt der Gegner nun die Beweislast dafür, dass der Vortrag unwahr ist. Einen Negativbeweis zu führen ist jedoch in der Regel nur dann möglich, wenn nachgewiesen werden kann, dass die Behauptung gar nicht zutreffen kann. Hierzu ist aber erforderlich, zu wissen, wann wie wo was genau geschehen sein soll.


An diesen Hürden dürfte in dem Fall, der mich gestern zum Arbeitsgericht geführt hat, die Gegenseite scheitern.

Es ging, wie so oft, um die Frage, ob eine Kündigung übergeben wurde oder nicht. Die Gegenseite sagt: Ja, aber die Parteien waren unter sich. Unser Mandant sagt: Nein, eine Übergabe gab es nicht. Beweisangebot für die Übergabe? Die Einvernahme des Geschäftsführers der Gegenseite.

Im Termin zur Güteverhandlung (2. Runde) wurde der Geschäftsführer befragt, wann denn die Übergabe stattgefunden haben soll. Das wisse er nicht mehr, das merke er sich doch nicht. Weder den Tag konnte er genau sagen (“müsste der Tag gewesen sein”), noch die Uhrzeit. Nur dass der Mandant zu ihm ins Büro gekommen sei. Was aber auch häufig geschehen ist, weshalb dies sicher keinem Kollegen aufgefallen sein dürfte. Den Kollegen habe er von der Kündigung auch erst Wochen später berichtet – nachdem schon Kündigungsschutzklage erhoben war.

Das Gericht hat folgerichtig zu erkennen gegeben, dass es keine Grundlage für die Parteieinvernahme erkennen kann. Das hat leider nicht gereicht, um den Geschäftsführer zu einem Vergleich zu bewegen. Dann wird es halt voraussichtlich deutlich teurer für ihn. Freut den Mandanten auch.

Sachverständige/r für Lebenserfahrungsfragen

question-mark-1019820_640Schreibt ein Kollege ans Gericht, um es davon zu überzeugen, dass unser Vortrag nicht korrekt sein kann:

Es widerspricht jeglicher Lebenserfahrung, dass […]

Beweis: Sachverständigengutachten

Ich fürchte, das Gericht wird diesem Beweisangebot nicht nachgehen müssen. Schade eigentlich, denn mich hat schon immer brennend interessiert, welche Ausbildung ein/e Sachverständig/e haben muss, um Fragen der Lebenserfahrung beantworten zu können.

Die Sache mit dem Röntgenblick

x-ray-237401_640Was Superman kann, kann ein Gebrauchtwagenhändler doch sicherlich schon lange. Das wird sich wohl der Kollege, der einen Autokäufer gegen unseren Mandanten, einen Gebrauchtwagenhändler, vertritt, gedacht haben, wenn er im selben Schriftsatz sowohl schreibt, dass

sich der Rost im Inneren des Motorblocks [befindet]

wie auch, dass unser Mandant

die streitgegenständlichen Rostschäden bzw. die Verdachtsmomente hierzu durch alleinigen Blick in den Motorraum nach Öffnung der Motorklappe erkennen [hätte] können.

Unser Mandant versichert uns, dass weder er noch seine Mitarbeiter über einen Röntgenblick verfügen und daher nicht in der Lage sind, Schäden im Inneren eines geschlossenen Motorblocks von außen zu erkennen. Auch wenn Mandanten hin und wieder dazu neigen, es mit der Wahrheit nicht all zu genau zu nehmen, in diesem Fall kann man ihm – denke ich – glauben 😉

PS: Ich bin ja mal gespannt, ob das Gericht hier eine Röntgenblick-Pflicht bejaht.

Hätten Sie denn nicht kollegialiter einen Parteiverrat begehen können?

Es ergeht ein Versäumnisurteil (VU) am hiesigen Gericht, weil der Kollege nicht erschienen war. Am nächsten Tag legt er Einspruch ein, begründet diesen lang mit EDV-Problemen, die seine Termine gelöscht hätten und warum das VU ohnehin nicht hätte ergehen dürfen. Soweit, so alltäglich.

Der Schriftsatz schließt aber mit einer bemerkenswerten Beschwerde über meinen Kollegen:

Es ist unschön genug, dass der Klägervertreter trotz Kenntnis der Telefonnummer des Unterfertigten, die auf dem Briefkopf aufgeführt ist, nicht wenigstens aus dem Termin antelefoniert hat, da dann eine kollegiale Verlegung hätte erfolgen können.

Stimmt, hätte er machen können. Und dann hätte er sich gleich noch selbst wegen Parteiverrat (§ 356 StGB) anzeigen können. So kollegialiter halt… 😉