Fall Mollath: Verfassungsbeschwerde erfolgreich

Auch wenn Gustl Mollath (endlich) die beantragte Wiederaufnahme bekommen hat, hat das Bundesverfassungsgericht dessen Verfassungsbeschwerde gegen die Beschlüsse des Landgerichts Bayreuth und des Oberlandesgerichts Bamberg aus dem Jahre 2011 stattgegeben. In diesen war die Fortdauer der Unterbringung angeordnet bzw. die Beschwerde hiergegen als unbegründet verworfen worden.

Die zuständige Kammer des 2. Senats rügt in ihrem Beschluss, dass das Landgericht sich mit den Gutachten zu wenig auseinander gesetzt habe und die Prognoseentscheidung faktisch diesen Gutachtern überlassen habe, obgleich es Aufgabe des Gerichts war, “unter Berücksichtigung weiterer Hinweise des Sachverständigen und sonstiger Umstände des vorliegenden Falles diese Einschätzungen gegeneinander ab[zu]wägen und eine eigenständige Prognoseentscheidung [zu] treffen”. Insbesondere hätten zu erwartende Straftaten konkret benannt werden müssen, sowie dargelegt werden müssen, wieso die Wahrscheinlichkeit der Begehung solcher Taten so hoch gewesen wäre und auf welchen Tatsachen diese Prognose beruht.

Komplett missfällt dem Verfassungsgericht, dass sowohl LG als auch OLG die Verhältnismäßigkeit der Fortdauer ausschließlich mit Hinweis auf die ihm zur Last gelegten Körperverletzungsdelikte begründet haben. Zu Recht weist das Gericht darauf hin, dass es sich um Taten gehandelt habe, die – selbst wenn sie so geschehen sind – vor über zehn Jahren waren und nur im Rahmen der Ehe mit Mollaths Ex-Frau passiert sind, von der er ja zwischenzeitlich geschieden und getrennt war. Eine Darlegung, wieso die Gefahr bestünde, dass er aktuell(!) solche Körperverletzungsdelikte begehen würde, haben beide Gerichte nicht erbracht. Damit fehle es “bereits an einer zureichenden Grundlage für die Abwägung zwischen den Sicherungsinteressen der Allgemeinheit und dem Freiheitsanspruch des Beschwerdeführers”, so das Verfassungsgericht weiter, so dass die Beschlüsse aufzuheben und an das OLG Bamberg nach § 95 II BVerfGG zurückzuverweisen gewesen sei.

Update (05.09.2013 – 11:38):

In ihrer bewährten Art, nur zu sehen, was ihr gefällt, hat die bayerische Justizministerin Beate Merk eine Pressemitteilung herausgeben lassen. Darin findet sich u. a. der “wunderbare” Satz:

Es ist wichtig, dass unser höchstes Gericht nun Klarheit geschaffen hat, welche Anforderungen an die Begründung von Entscheidungen über den lange währenden Freiheitsentzug eines Menschen gelten.

Das ist deshalb so pervers, denn das Verfassungsgericht hat mit seinem Beschluss nicht etwa neu erfunden, dass die Unterbringung verhältnismäßig sein muss. Sondern es hat – in sehr deutlicher Weise – gerügt, dass die betreffenden bayerischen Gerichte nicht über dieses Grundwissen verfügen. Also ist es sehr wohl eine “schallende Ohrfeige” für die Ministerin, wenn ihr aus Karlsruhe attestiert werden muss, dass sie Richter beschäftigt, die nichtmal die Grundlagen des Unterbringungsrechts beherrschen. Denn für deren Anstellung ist sie nunmal – bei aller Gewaltenteilung – zuständig!

 

OLG Nürnberg ordnet Wiederaufnahme im Fall Gustl Mollath an

Wie die Süddeutsche Zeitung berichtet, hat das OLG Nürnberg die anderslautende Entscheidung des LG Regensburg aufgehoben und die Wiederaufnahme des Verfahrens im Fall Gustl Mollath angeordnet. Anders als die Regensburger Kollegen – und so wie viele Juristen (statt vieler sei hier nur auf die Detailkritik von Prof. Dr. Müller verwiesen) – sah das OLG die verwendete Urkunde sehr wohl als falsch an und somit einen Wiederaufnahmegrund nach § 359 Nr. 1 StPO als gegeben an.

Die Wiederaufnahme bedeutet zwar, dass Mollath sofort freigelassen werden muss, das Ende der Justizschlacht um diesen Fall ist das jedoch nicht. Nun muss das Verfahren, dass damals zu seiner Unterbringung geführt hat, wieder neu durchgeführt werden. Und da kann noch vieles passieren. Man kann also gespannt sein.

PS: Die bayerische Jusitzministerin Beate Merk ist natürlich derweil auf Twitter erfreut über die Entscheidung, hing doch der Fall wie ein Damoklesschwert über ihrem Kopf vor den anstehenden Landtagswahlen. Die bayerischen Wähler sollten jedoch nicht vergessen, wie viele Fehler sie gemacht hat, bevor sie den Wiederaufnahmeantrag angewiesen hat. Die Unterbringungsvorausstzungen und -bedingungen in Bayern sind nämlich das Werk der seit über 50 Jahren regierenden CSU-Mehrheit.

Update: Pressemitteilung des OLG Nürnberg zum Fall

Lesehinweis: Fall Mollath und die ignorierten Beweismittel

Auf sueddeutsche.de gibt es im Moment einen sehr interessanten Artikel in dem u.a. dokumentiert wird, dass der ehemalige Vorsitzende der 7. Strafkammer der LG Nürnberg vor dem Untersuchungsausschuss des bayerischen Landtags unverblümt zugegeben hat, dass er als Richter im Prozess gegen Herrn Mollath die Verteidigungsschrift des Angeklagten nicht gelesen habe, weil er noch “anderes zu tun gehabt” habe.

Ich bin mir nicht sicher, was mich mehr aufregen sollte: Dass ein Richter meint, dass das das korrekte Vorgehen in einer Strafsache sein kann, oder dass solche Erkenntnisse nicht massive Reaktionen der Bevölkerung auslösen.

Florian Streibl (Freie Wähler) bezeichnet den Fall korrekt als Beispiel für “Selbstherrlichkeit, Überlastung und Behördenversagen” im Fall Mollath. Der Ausschussvorsitzende Florian Herrmann (CSU) will dem nicht zustimmen. Da kann sich jetzt jeder seinen Teil denken dazu…