Corona-Tipps: Heute: Mimik trotz Maske

Die Corona-Pandemie macht uns allen zu schaffen. Gerade Rechtsanwälte müssen in Zeiten, in denen Gerichte Verhandlungen nur noch mit Mund-Nase-Schutz durchführen wollen, fürchten, auf ein wichtiges Werkzeug in ihrem Arsenal verzichten zu müssen: Wortlos auf Vortrag des Gerichts oder anderer Beteiligter allein mit Hilfe ihrer Mimik zu reagieren. Ein abfälliges Lächeln oder ein erstauntes Aufzucken sind nicht darstellbar, wenn der Mund abgedeckt sein muss.

Ich gebe daher nachfolgend wichtige Tipps, wie man auch mit Maske seine Reaktion wirksam vermitteln kann:

Kurz und prägnant

In Zivilverfahren wird mehr oder weniger ausführlich protokolliert, worüber verhandelt wird. Heute erhalte ich das Protokoll in einer Mietsache:

Das Gericht führt in den Sach- und Streitstand ein.

Die Parteien diskutieren kontrovers.

Eine Einigung kommt zurzeit nicht zustande.

Bei einer Güteverhandlung von 20 Minuten ist das eine kurze und prägnante Zusammenfassung des Gesprochenen. Nachdem inhaltlich aber ohnehin nicht viel gesagt wurde, reicht das aber auch. Ich bin mal auf das Urteil gespannt. Ob das auch so effizient geschrieben wird?

Wenn außer den Parteien keiner dabei war…

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Im Zivilprozess gilt grundsätzlich eine ganz einfache und eingängige Regel: Wer etwas vorträgt, das zu einem für ihn gewünschten rechtlichen Ergebnis führen soll, der muss dies auch beweisen. Dass das sinnvoll ist, dass weiß jeder gute Beamte, lautet doch Regel Nr. 3 des Beamten-Dreisatzes: “Da könnte ja jeder kommen!”.

Also muss die Partei eines der in der ZPO genannten Beweismittel benennen, nach dessen Erhebung das Gericht sich wie gewünscht überzeugt haben soll. Die häufigsten Beweismittel sind der Zeugenbeweis (zugleich der unzuverlässigste), der Augenschein und das Sachverständigengutachten.

Problematisch wird es für die beweisbelastete Partei – und in der Folge auch für ihren Anwalt – wenn, wie recht häufig, keine Beweismittel existieren außer die eigene Wahrnehmung der Partei und auch keine objektiven Tatsachen vorhanden sind, an die ein Sachverständiger anknüpfen könnte. Denn der Vortrag der Partei ist grundsätzlich nicht ausreichend, wenn der Gegner ihn bestreitet. Denn der Gegner kann in der Regel keinen Gegenbeweis führen, dass etwas gerade nicht geschehen ist.

Ganz unmöglich ist es jedoch nicht, die Partei wie einen Zeugen zu vernehmen. Hierzu hat der Gesetzgeber nämlich die Parteieinvernahme (§§ 447 ff. ZPO) geschaffen. So ist die Einvernahme einer Partei dann möglich, wenn dies beantragt wird und der Gegner ihr zustimmt. Das Ziel eines taktisch denkenden Anwalts wird daher immer sein, die Einvernahme der eigenen Partei zu erreichen und die Einvernahme der gegnerischen Partei zu verweigern.

Stimmt der Gegner nicht zu, so regelt § 448 ZPO, dass das Gericht die Einvernahme auch von Amts wegen “ohne Antrag einer Partei und ohne Rücksicht auf die Beweislast” durchführen kann, wenn “das Ergebnis der Verhandlungen und einer etwaigen Beweisaufnahme nicht ausreicht, um seine Überzeugung von der Wahrheit oder Unwahrheit einer zu erweisenden Tatsache zu begründen. Erforderlich ist daher, dass der Träger der Beweislast bereits einen Anfangsbeweis erbracht hat und eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die zu beweisende Tatsache spricht (h. M.). Kann der Beweisbelastete also nicht einmal Anknüpfungspunkte beweisen, aus denen sich die Wahrscheinlichkeit für die zu beweisende Tatsache ergibt, so scheidet die Parteieinvernahme von Amts wegen aus (vgl. LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15.05.2002 – Az. 10 Sa 69/02).

Erforderlich ist zusätzlich, dass die Tatsache, der zu beweisen ist, möglichst genau substantiiert wird. Denn wenn es zu einer Parteieinvernahme kommt, trägt der Gegner nun die Beweislast dafür, dass der Vortrag unwahr ist. Einen Negativbeweis zu führen ist jedoch in der Regel nur dann möglich, wenn nachgewiesen werden kann, dass die Behauptung gar nicht zutreffen kann. Hierzu ist aber erforderlich, zu wissen, wann wie wo was genau geschehen sein soll.


An diesen Hürden dürfte in dem Fall, der mich gestern zum Arbeitsgericht geführt hat, die Gegenseite scheitern.

Es ging, wie so oft, um die Frage, ob eine Kündigung übergeben wurde oder nicht. Die Gegenseite sagt: Ja, aber die Parteien waren unter sich. Unser Mandant sagt: Nein, eine Übergabe gab es nicht. Beweisangebot für die Übergabe? Die Einvernahme des Geschäftsführers der Gegenseite.

Im Termin zur Güteverhandlung (2. Runde) wurde der Geschäftsführer befragt, wann denn die Übergabe stattgefunden haben soll. Das wisse er nicht mehr, das merke er sich doch nicht. Weder den Tag konnte er genau sagen (“müsste der Tag gewesen sein”), noch die Uhrzeit. Nur dass der Mandant zu ihm ins Büro gekommen sei. Was aber auch häufig geschehen ist, weshalb dies sicher keinem Kollegen aufgefallen sein dürfte. Den Kollegen habe er von der Kündigung auch erst Wochen später berichtet – nachdem schon Kündigungsschutzklage erhoben war.

Das Gericht hat folgerichtig zu erkennen gegeben, dass es keine Grundlage für die Parteieinvernahme erkennen kann. Das hat leider nicht gereicht, um den Geschäftsführer zu einem Vergleich zu bewegen. Dann wird es halt voraussichtlich deutlich teurer für ihn. Freut den Mandanten auch.

Unglaubliche Stehkraft

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Wer schon einmal eine Zeugenvernehmung in einer höchst strittigen Angelegenheit mitbekommen hat, weiß, dass die von Zeugen erzählten Geschichten nicht zwangsläufig der Wahrheit entsprechen müssen – oder können.

In einer Körperverletzungssache verschlug es den Verfasser am Montag ans beschauliche, hoch auf einem Berg gelegene, Amtsgericht Dachau, um Schmerzensgeld für eine bei einer Prügelei verursachte Verletzung durchzusetzen. Das Gericht lud – geprägt von Pessimismus – gleich 9 von 10 Zeugen zum ersten Termin, welche die Auseinandersetzung aus verschiedenen Blickwinkeln (Mandant als Opfer, Mandant als Täter und Beklagter als Opfer) zu erzählen.

Dabei war auch ein Zeuge, nennen wir ihn mal K. K misst ca. 1,90 m und bringt, bei entsprechender Statur, geschätzt 150 kg auf die Waage. K war – aus seiner Sicht – eines der Opfer. Er habe Streit mit dem O gesucht, aber als er diesen vor einer Disco konfrontieren wollte, sei er von hinten angriffen und unsanft mit Wucht zu Boden befördert worden – nicht jedoch, bevor er sich noch an der Jacke des O festhalten konnte. Auf diesseitige Nachfrage, was denn mit O geschehen ist, war sich K sehr sicher, dass dieser nicht auf den Boden gefallen ist, sondern “standfest” blieb. Dass die Aussage, dass jemand, an dem plötzlich und ohne Vorwarnung 150 kg Gewicht ruckartig ziehen, nicht umfällt, an der Grenze der Glaubhaftigkeit zu beheimaten sein dürfte, ist wohl Konsens.

Diese Grenze wird jedoch weit überschritten, wenn man O kennt. Dieser war – ohne dass K dies wusste – am Vormittag schon als Zeuge befragt worden und erschien ca. 1,70 m groß und maximal halb so schwer wie K zu sein. Bei aller Stehkraft, die ich ihm nicht absprechen will: Dass O nicht umgefallen wäre, wenn das ganze Gewicht des K urplötzlich an ihm hängt, das entspringt dem Reich der Fantasie. Wie auch wohl der Rest der Aussage des K.

PS: Leider musste sich das Gericht mit der Glaubwürdigkeit des vom Beklagten als Zeugen benannten K nicht auseinandersetzen. Am Ende des Verhandlungstages war der Beklagte nämlich urplötzlich doch bereit, den bereits zu Beginn angebotenen Vergleich zu schließen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt…

Beleidigte Kommunikationsverweigerung

angry-33059_640Es gibt Termine, die sind unnötig, es gibt Termine, die sind komplett unnötig und es gibt Termine, bei denen man sicht fragt, was wohl schief gelaufen ist, dass der Kollege nicht das absolute Minimum getan hat, um den Termin zu verhindern. Auch Anwälte, die gerne zu Gericht gehen, opfern ja nicht gerne einen ganzen Vormittag, um ein Missverständnis aufzuklären, dass durch ein Telefonat hätte aufgeklärt werden können.

Die Sache hätte trivialer nicht sein können. Der Insolvenzverwalter bediente sich in seinem Tabellenauszug einer unklaren Sprache, so dass sowohl wir wie auch das Gericht davon ausgingen, dass er hat bestreiten wollen, dass Arbeitsentgelt eine vorrangig zu befriedigende Masseverbindlichkeit gem. § 55 InsO sei. Wir erheben also flugs Feststellungsklage zum hiesigen Arbeitsgericht, um diesen vermeintlichen Irrtum zu korrigieren.

Im Termin – der wie üblich beim Massenverfahren Arbeitsgericht mit 35 Minuten Verspätung begann – erklärte die Kollegin, die den Insolvenzverwalter vertrat, dass dieser ja eigentlich gemeint habe, dass es keine Insolvenzforderung sei, weil es eine Masseverbindlichkeit gem. § 55 InsO sei. Den Anwalt und das Gericht freut es, wenn eine Sache so einfach und ohne größeren Streit beendet werden kann.

Als ich nach dem Termin wage, die Kollegin zu fragen, wieso der Insolvenzverwalter nicht nach Erhalt der Klage die Sache telefonisch oder mit kurzen Schriftsatz klargestellt hat, schnautzt sie mich an, dass ich ja auch hätte anrufen können (stimmt, hielt ich aber nicht für nötig, weil der Wortlaut eindeutig schien). Und wenn ich nicht anrufe, dann ruft sie auch nicht an, da macht sie lieber den Termin. Beneidenswert, wenn man so unausgelastet ist, dass man lieber zu Gericht fährt als einen Hörer in die Hand zu nehmen…

Teure Beratungsresistenz

Für den Anwalt gibt es nichts schlimmeres – für den gegnerischen Anwalt nichts schöneres – als den beratungsresistenten Mandanten, der nach dem Motto “Geld spielt keine Rolle” Prozesse führen lässt, die von vorneherein aussichtslos sind.

Der eigene Anwalt bekommt zwar seine Gebühren ohnehin, aber dennoch ist es für das Selbstwertgefühl vieler Kollegen nicht gut, wenn der eigene Mandant ausdrückliche Ratschläge zum Prozessrisiko in den Wind schlägt. Und wenn der Prozess dann wie vorhergesagt verloren geht, ist der Anwalt dem Zorn des Mandanten ausgesetzt, der natürlich glaubt, der verlorene Prozess sei Schuld des Anwalts.

So auch gestern beim Amtsgericht in München. Einfache WEG-Sache, Mandantin würde gerne die Waschküche mitbenutzen, die im Gemeinschaftseigentum steht. Mehrheitseigentümerin hat sie zugesperrt und verweigert die Nutzung mit einer Argumentation, die die Kollegin der Gegenseite im Termin mit “Sie findet, sie sei allein nutzungsberechtigt” zusammenfasst. Das Gericht nimmt daher in der Güteverhandlung alle Argumente der Gegenseite mit kurzen Worten auseinander und rät dringenst zu einem Anerkenntnis. Die Kollegin erklärt zerknirscht, dass sie dazu nicht berechtigt sei. Also wird es ein Urteil geben.

Kosten für die dann gerichtliche Nachhilfestunde: voraussichtlich ca. 3.000,00 €. Das Gericht und ich haben uns bei der Kollegin herzlich bedankt; so einfach verdient man sein Geld leider sehr selten. Die Kollegin, die ihrer Mandantin erklären muss, dass sie ihre Sturheit 3.000,00 € gekostet hat, beneide ich nicht. Nur die seltensten Mandanten sind bereit zu akzeptieren, dass der Fehler der ihrige war.

Ich werf mich dann mal hinter die S-Bahn…

Quelle: Flummi-2011 @ Wikimedia Commons, CC-BY-SA-2.0

Quelle: Flummi-2011 @ Wikimedia Commons, CC-BY-SA-3.0

Die Süddeutsche Zeitung berichtet hier über einen Fall eines Münchners, der trotz bezahlter Strafe noch 11 Tage im Gefängnis sitzen musste, weil sich niemand bei der Staatsanwaltschaft München I dazu aufraffen konnte, die Bezahlung seiner Strafe zu registrieren und seine Freilassung anzuordnen.

Die Staatsanwaltschaft München I ermittelt in dieser Sache – wie so üblich in Bayern – gegen sich selbst und kann natürlich auch in drei Anläufen kein Fehlverhalten bei sich erkennen. Insbesondere habe der Rechtspfleger, der über den Eingang des Gelds informiert worden sei, ja kein Motiv oder Vorsatz gehabt.


Dass es mit der Kompetenz der bayerischen Justiz nicht so gut steht, musste ich bzw. mein Mandant heute am eigenen Leib spüren: Beide Mitangeklagten haben – ohne dass es ihnen zum Vorteil gereichen würde – gesagt, dass er bei der Tat nicht dabei war. Alle fünf Zeugen aus dem Lager der Geschädigten haben gesagt, dass sie ihn nicht als Täter erkennen – weder bei der Polizei noch vor Gericht. Objektive Beweismittel, die auf seine Täterschaft hindeuten? Fehlanzeige. Ich hatte bereits darüber berichtet.
Verurteilt wurde er natürlich trotzdem.

In diesem Sinne: Ich werf mich dann mal hinter die S-Bahn…

“Vollkommen überzeugt”

Fehler zugeben ist etwas, was vielen Leuten schwer fällt. Juristen sind hierfür – berufsbedingt – vielleicht noch ein wenig anfälliger als andere Berufsgruppen, insbesondere im Staatsdienst.

Wenn also ein Staatsanwalt eine Anklage geschrieben hat – insbesondere wenn vorher schon alle Zeugen der Polizei gesagt haben, dass sie den Beschuldigten trotz dreifacher Wahllichtbildvorlage nicht wiedererkennen – dann kann er oftmals nicht einsehen, dass seine schöne Anklage das Papier nicht wert ist, auf dem sie gedruckt wurde.

So im Rahmen der Hauptverhandlung in der oben verlinkten Sache. Alle Zeugen – allesamt aus dem Lager der angeblich Geschädigten (weil keiner der 10+ sonstigen Zuschauer für die Polizei als Zeugen in Frage kam) – haben wortwörtlich ausgesagt, dass sie den Mandanten nicht als Täter erkennen (wie ja auch der Polizei schon gesagt) – insbesondere auch die in der Anklage zitierte Hauptbelastungszeugin A. Auch die beiden Mitangeklagten haben zwar eingeräumt, beteiligt gewesen zu sein, die Anwesenheit des Mandanten aber ausdrücklich verneint.

Im folgenden Rechtsgespräch (um einen Fortsetzungstermin zu verhindern) sagt die Staatsanwältin angesichts dieser Beweisaufnahme, dass sie “vollkommen überzeugt” von der Mittäterschaft des Mandanten ist, dessen Anwesenheit bereits alle Beteiligten verneint haben. Woher sie diese Überzeugung nimmt, konnte sie aber nicht erklären…1

PS:
Als der ermittelnde Polizeibeamte gefragt wurde, wie er denn auf unseren Mandanten als Mittäter gekommen ist, war seine Logik sinngemäß:

Der dritte Täter hatte eine rote Baseballmütze auf. Der Mandant wurde 2010 mal von der Polizei mit einer Baseballmütze (Farbe unbekannt) angetroffen. Wir wissen also, dass er eine Baseballmütze hat und die anderen Angeklagten kennt. Daraus habe ich messerscharf geschlossen, dass er das gewesen sein muss.2


1 Dass mein Vertrauen in die “objektivste Behörde der Welt” bei solchen Staatsanwälten/-innen weiter schwindet, dürfte jedem einleuchten.
2 Eine weitere Sternstunde bayerischer Ermittlungstätigkeit.

Unnötiges Anwaltsschaulaufen

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“Sammeltermin”. Das Wort allein verursacht bei den meisten altgedienten Kollegen ein Schaudern. Und das zu Recht.

Unter Sammeltermin versteht man die Praxis, mehrere frühe erste Termine (§ 275 ZPO) – meist ein Dutzend oder mehr (oder im Fall von BVerfG NJW 1985, 1149, auch mal 50+ Verfahren) – auf die gleiche Uhrzeit zu legen und die Kollegen dann alle herbeieilen zu lassen, um sich um die Rangfolge zu zoffen, denn wer zuerst kommt (meist viel früher als terminiert), der mahlt zuerst. Im Termin sitzen dann ca. 20 Anwälte hinten drin und ärgern sich, dass sie wohl 2-3 Stunden umsonst im Gericht verbringen, bis die Sachen vor ihnen abgearbeitet sind.

Kein Wunder also, dass Sammeltermine verpöhnt und aus der Sicht der meisten Kollegen auch zumindest nach der ZPO-Reform 2002 unzulässig sind (vgl. Schirp, BRAK-Mitt. 1/2003, S. 6). Die allermeisten Richter haben schon aus Eigeninteresse davon Abstand genommen und wählen lieber das schriftliche Vorverfahren nach § 276 ZPO, um möglichst früh schon alle entscheidenden Fragen zu klären; außerdem hat dieses Verfahren den Vorteil der Möglichkeit, durch Versäumnisurteil nach § 331 III ZPO entscheiden zu können, wenn keine Verteidigungsanzeige eingeht.

Ein paar Richter sträuben sich jedoch noch, dem Sammeltermin Lebewohl zu sagen. Zu einem solchen darf ich dann auch gehen am Mittwoch. Achja, die Klageerwiderung kam natürlich erst, als der Mandant – der Beklagten bekannt – im Urlaub war. Ich habe das Gericht daher um Terminsverlegung gebeten, weil ich mich ohne Rücksprache ohnehin nicht erklären könne. Der Richter hat dies abgelehnt.

So stehe ich also am Mittwoch extra früh auf, um bei Gericht möglichst früh dran zu kommen. Ich fürchte nur, die Kollegen werden das Gleiche tun…

Theorie vs. Praxis – Auflösung

Am Dienstag hatte ich von einem klausurwürdigen Fall am hiesigen Amtsgericht berichtet. Nur ein Kommentator hat sich getraut, eine Einschätzung abzugeben. Die dortige Beurteilung von Robin Wiemert entspricht dem, was ich erwartet hätte, wenn man diesen Fall als Klausur stellen würde.

Im Detail:

Im Strafrecht gilt grundsätzlich, dass zur Bestrafung immer erforderlich ist, dass Tatbestand, Rechtswidrigkeit und Schuld bejaht werden können. Die Schuld ist gem. § 20 StGB auch dann ausgeschlossen, wenn der Rausch einen Grad erreicht hat, bei dem der Täter nicht in der Lage ist, das Unrecht seiner Tat einzusehen und/oder gemäß dieser Einsicht zu handeln.

Im vorliegenden Fall entfällt daher die ansonsten zu bejahende Strafbarkeit nach §§ 142, 315c, 316 StGB wegen fehlender Schuld.

Möglich bleibt in solchen Fällen eine Strafbarkeit nach § 323a StGB (Vollrausch). Tathandlung des § 323a StGB ist nämlich nicht die Teilnahme am Straßenverkehr oder die Unfallflucht, sondern das Sichberauschen, welches zu der o. g. Nichtstrafbarkeit führt. Der Täter soll daher dafür bestraft werden, dass er sich berauscht hat, obwohl er damit rechnen konnte, dass er bestimmte Taten (nicht unbedingt Straftaten) begehen wird*.

Wie bei jeder Tat muss der Strafrichter jedoch Feststellungen dazu treffen, ob die Tathandlung tatsächlich begangen wurde, also hier, ob A sich tatsächlich vorsätzlich oder fahrlässig selbst(!) einen solchen Rausch angetrunken hat (vgl. OLG Köln, Blutalkohol 47, 296; BGH, Beschluss vom 08.12.1992 – Az. 4 StR 562/92). Ist er dazu nicht in der Lage, weil nicht zu ermitteln ist, wieso der Angeklagte berauscht war, so muss er zu seinen Gunsten davon ausgehen, dass dieser sich nicht selbst berauscht hat und ihn also  folgerichtig auch freisprechen.

Die Antwort auf meine Frage lautete also: A ist gar nicht zu bestrafen, möglicherweise kann ihm aber nach § 69 I StGB die Fahrerlaubnis entzogen werden.

Praxis?

Die ein oder der andere fragt sich wohl, was diese Ausführungen mit der Überschrift zu tun haben. Ganz einfach: Das war die Theorie.

Die Praxis sieht leider anders aus. Verurteilt wurde A nämlich doch wegen § 323a StGB. Obwohl die Tathandlung weder ermittelt noch festgestellt wurde, ging das Gericht davon aus, dass aus dem Zustand des Berauschtseins geschlossen werden könne, dass A sich selbst berauscht hat.** An manchen bayerischen Gerichten ticken die Uhren halt anders als im restlichen (Rechts-)Staat.


* Berauscht er sich nur, um schuldlos Straftaten zu begehen, so wird er über die Rechtsfigur der “actio libera in causa” für die Straftaten selbst bestraft)

** Dazu der BGH a. a. O.:

Die Verurteilung wegen Vollrausches setzt die zweifelsfreie Feststellung voraus, daß der Täter sich in einen Rausch versetzt hat. Ein Schuldspruch wegen Vollrausches scheidet dagegen aus, wenn das “Ob” der Berauschung zweifelhaft ist.