Kreatives Aktenstudium

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Manchmal kann man sich als Verteidiger des Gefühls nicht erwehren, dass Staatsanwälte einfach mal alles anklagen und sich denken “Soll doch das Gericht sich drum kümmern”.

So erreicht uns eine Anklage gegen den Mandanten, den nach Ermittlungsakten kein Zeuge bei der (gemeinschaftlichen) Tat gesehen hatte und auch keiner als Täter wieder erkannt hatte.

Der Staatsanwalt, davon unbeirrt, schreibt dann in die Anklage:

Der Tatnachweis wird daher im Rahmen der Hauptverhandlung durch die nachbenannten Beweismittel geführt werden. Im Hinblick auf die Ermittungen der Identität der Tater wird auf den polizeilichen Bericht (Bl. XX) Bezug genommen. Hinsichtlich der gemeinschaftlichen Begehung der Körperverletzungen durch alle drei Angeschuldigten wird der Nachweis insbesondere durch die Angaben der Zeugin A (vgl. Bl. XX) geführt werden […]

Das klingt schon mal toll, nicht? Wenn dann nicht im polizeilichen Bericht zum Mandanten stünde, dass keiner der Geschädigten den angeblichen dritten Täter, also den Mandanten, beschreiben und bei den Wahllichtbildvorlagen – immerhin drei Stück –  (sicher) wiedererkennen konnte.
Die Hauptbelastungszeugin A hat im Rahmen der Wahllichtbildvorlagen sogar ausdrücklich angegeben, dass sie ihn 1) nicht wieder erkennt bzw. 2) einen anderen als Täter erkannt habe.

Da hat der Staatsanwalt wohl besonders kreatives Aktenstudium betreiben müssen, um das Ermittlungsergebnis so hinzubiegen, dass die entlastenden Angaben der Zeugen, die den Mandanten nicht erkannt haben, als belastende Angaben in der Anklageschrift auftauchen konnten…

Rechtsschutzverweigerungsversicherung

In dem hier beschriebenen Fall haben wir unsere Tätigkeit gegenüber der Rechtsschutzversicherung (RSV) des Mandanten, der ÖRAG, abgerechnet. In insgesamt 14 Fällen – der Arbeitgeber war leider fleißig bei seinen Rechtsverletzungen – sind wir außergerichtlich tätig geworden. Da kam dann ein Gegenstandswert von knapp 70.000 € zusammen (durch Zusammenrechnung nach § 22 RVG).

Verkomplizierend (für die ÖRAG) kam hinzu, dass der Mandant nur bis 2006 und dann ab 2013 (unter neuer Nummer) rechtsschutzversichert war.

So ging das Spiel also los:

  • Erste Antwort: Keine Übernahme, weil ja nur bis 2006 versichert.
    Mitgeteilt, dass Nachfolgevertrag besteht.
  • Zweite Antwort: Keine Übernahme, weil Fälle aus 2012 seien.
    Mitgeteilt, dass das nicht stimmt und nicht erklärlich ist, wieso das angenommen wurde.
  • Dritte Antwort: Keine Übernahme, weil gerichtlich ein Abgeltungsvergleich geschlossen worden sei.
    Mitgeteilt, dass sich Abgeltung nicht auf diese Fälle bezieht (was auch im Vergleich klar drin steht)
  • Vierte Antwort: Keine Übernahme, weil ja nur bis 2006 versichert.
    Nochmals auf Nachfolgevertrag hingewiesen, weil bei ÖRAG ja scheinbar keiner die Akten liest.

Erst nach mehreren Faxen und Telefonaten hat sich bei der RSV jemand gefunden, der bereit war, sich tatsächlich mit dem Fall zu beschäftigen. Das Ergebnis aber leider das selbe: keine Übernahme.

Das Argument des Sachbearbeiters: Es sei ja eine Selbstbeteiligung von 150,00 € abzuziehen für jeden Gegenstand, das stünde so in den ARB. Also müsste man 14 × 150,00 € = 2.100,00 € Selbstbeteiligung abziehen und dann bliebe ja nix mehr übrig von der 1,3-Geschäftsgebühr von 2.085,95 € (inkl. Mwst. und Portopauschale). Abgesehen davon, dass wir aufgrund des Umfangs der Sache eine 2,0-Gebühr abgerechnet hatten, favorisiert die ÖRAG eine Auslegung ihrer ARB, die darauf hinausläuft, dass der Versicherungsnehmer im Ernstfall gar keine Leistungen erhält.

Ob der Mandant, der die Rechnungen dann wohl demnächst selbst bekommt, weiterhin dort versichert bleiben will, wage ich zu bezweifeln.

PS:
Die sieben Beratungsrechnungen sind auch alle nicht bezahlt worden, weil die Angabe der Tätigkeit zu vage gewesen sei. Dass ich der Kollegin am Telefon das alles schon ausführlich erklärt hatte, beeindruckte den Sachbearbeiter nicht.

Zwei-Klassen-Strafrecht

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Das Recht ist keine billige Sache. Das gilt auch für das Strafrecht. Richter, Staatsanwälte und nicht zuletzt Verteidiger wollen bezahlt werden dafür, dass dem Recht zur Geltung geholfen wird. Und wenn der böse Bube dann (zu Recht?) verurteilt wird, dann soll er dies auch gefälligst selbst tragen, dachte sich der Gesetzgeber und erfand den § 465 StPO.

Nur dann, wenn der böse Bube gar keiner war, dann will er das Gericht auch davon überzeugen. Nun kann man – abgesehen von denjenigen, denen es ums Prinzip geht – zwei Klassen von Angeklagten unterscheiden:

  • Angeklagte, die entweder so viel Geld haben, dass es ihnen nichts ausmacht oder Angeklagte, die so viele Schulden haben, dass es sie gar nicht mehr kümmert, wenn noch mehr dazu kommen
  • Angeklagte, für die ein paar Tausend € Verfahrenskosten und Auslagen den finanziellen Ruin bedeuten

Dies führt zu der bizarren Situation, dass gerade diejenigen Angeklagten, die sich weit überwiegend rechtstreu verhalten, auch diejenigen sind, die zögern, ihre Rechte in einem Strafverfahren wahrzunehmen. Und wenn dann noch Staatsanwaltschaften und Gerichte auf Autopilot Entscheidungen fabrizieren, dann rüttelt das an den Grundfesten des Rechtsstaats.

Ein Beispiel aus jüngster Zeit:

Der Mandantin wurde eine Trunkenheitsfahrt (§ 316 StGB) vorgeworfen. Sie saß mit 1,11 Promille in ihrem Auto, ca. 500 Meter von daheim entfernt, und hat sich ein bisserl was hinter die Binde gekippt. Weils kalt war, hat sie den Motor kurz angehabt, um die Heizung anzuschalten. Die hinzukommende Polizei folgerte – ohne weitere Anhaltspunkte – aus dem warmen Motor, dass sie dorthin gefahren sein muss. Gesehen hat es keiner. Der zuständige Staatsanwalt kümmert sich natürlich nicht um die Einlassung der Mandantin und beantragt einen Strafbefehl, den das Gericht – offensichtlich ungelesen – unterschreibt. Fahrerlaubnis weg und 1.500,00 € Geldstrafe. Für eine Tat, die nicht nachgewiesen werden kann.

Die Mandantin entscheidet sich, den Strafbefehl zu akzeptieren. Nicht, weil er inhaltlich richtig wäre. Sondern weil sie es sich finanziell nicht mehr leisten kann, weitere Kosten zu produzieren, wenn die – leider nicht geringe – Gefahr besteht, dass das Gericht auch nach durchgeführter Hauptverhandlung und ohne weitere Beweise zu einer Verurteilung kommt.

Fazit: Jemand, der genug Geld hat oder dem entsprechende Schulden egal sind, hätte möglicherweise – einen halbwegs rechtstreuen Richter vorausgesetzt – einen Freispruch erlangen können, so dass die Staatskasse die Kosten und Auslagen zu tragen hat. Derjenige, der das Risiko aus finanziellen Gründen nicht eingehen kann, dem bleibt diese Möglichkeit verwehrt.

Polizeilich verordneter IQ-Test

Jeder, der schon mal einen IQ-Test gemacht hat, wird diese Aufgabenstellung kennen: Man bekommt mehrere Bilder vorgelegt und soll erkennen, welches nicht zu den anderen passt:

house1 house4 house3 schiff house2
a) b) c) d) e)

Auch die Polizei greift gerne auf eine Variante dieses Tests zurück, die sie dann “Wahllichtbildvorlage” nennt. Dabei werden dem Zeugen – der möglicherweise vorher (gemeinerweise) einen Täter beschrieben hat, dessen Beschreibung nicht auf den von der Polizei auserkorenen Verdächtigen passt – Bilder von 8 Personen, inklusive dem Verdächtigen, vorgelegt. Das Bild des Verdächtigen fällt dabei leicht aus der Reihe, z. B. durch Schmuck, Haarlänge, Gesichtsausdruck etc. Wenn der Zeuge nun das Bild sieht, “erkennt” er den Tatverdächtigen sogleich (unterbewusst) wieder – immerhin sieht der ja anders aus als die anderen.

Wer jetzt meint, ich würde mir das ausdenken, dem würde ich gerne die Ermittlungsakte zeigen, die mir vorliegt. Da hatte der Mandant auf dem vorgelegten Foto – anders als zur vermeintlichen Tatzeit – als einziger in der Gruppe der Vergleichspersonen einen prominenten Nasenring und eine Goldkette. Dass die selben Zeugen bei ihrer Befragung einen 15 Jahre jüngeren Mann ohne Nasenring geschildert haben – und somit eigentlich Bilder einer solchen Person hätten gezeigt werden müssen – ist dann auch schon egal.

Schika-was?

Manche Arbeitgeber gehen davon aus, dass ihr Wort Gesetz ist und der Arbeitnehmer gefälligst zu tun hat, was man ihm anschafft, egal ob er dafür eingestellt wurde oder nicht. Da soll der Oberarzt auch mal die Toiletten schrubben und der IT-Techniker den Schnee schippen. Ganz besonders allergisch reagiert dieser Typ Arbeitgeber dann auf Arbeitnehmer, die ihre Rechte kennen und sich weigern, solche Aufgaben zu übernehmen. Dann wird der Arbeitgeber erst richtig kreativ mit der Zuteilung schikanöser…äh…sinnvoller Tätigkeiten.

So ergeht es auch einem Mandanten. Er ist als Haustechniker in einer Klinik angestellt, was den Arbeitgeber nicht daran hindert, ihn zum Schrubben der Treppen und Schneiden der Bäume einzuteilen. Der neueste Einfall: Er solle die Bettennotfallrampe abschleifen und neu streichen. Diese soll dazu dienen, im Notfall die Krankenbetten zu evakuieren. Eigentlich eine gute Idee – wenn sie nicht an einem Fenster mit 80 cm Breite angebracht worden wäre. Die Betten sind nämlich mindestens einen Meter breit.

Ein Schelm, wer da Böses denkt…

“…werden wir diesen gerichtlich durchsetzen”

In der gefühlten unendlichen Geschichte eines Rechtsstreits zwischen unserem Mandanten und einem großen Energieversorger (ich hatte hier, hier und hier darüber berichtet) hatten wir beim zuständigen Amtsgericht – bei dem bereits der Rechtsstreit über die Duldung der Sperrung anhängig ist – eine einstweilige Verfügung erwirkt, die es dem Energieversorger untersagt, die Sperrung durchzusetzen, bis nicht der Rechtsstreit erledigt ist.

Davon unbeeindruckt – oder weil die einstweilige Verfügung noch nicht bei einer der vielen damit befassten Stellen angekommen scheint – erhielt unser Mandant eine weitere Androhung der Einstellung der Energieversorgung. Besonders ironisch dabei folgender Abschnitt des Schreibens:

Bitte ermöglichen Sie ab diesem Tag den Zutritt zum Zähler. Vielen Dank. Sollte kein Zutritt möglich sein, werden wir diesen gerichtlich durchsetzen.

Formbrief oder nicht, aber etwas anzudrohen, was man gerade eben bereits versucht, ist m. E. etwas peinlich. Oder wäre es, wenn die betreffende Abteilung wüsste, womit denn andere Abteilungen im Haus sich beschäftigt habe.

PS: Begründung des Gerichts für den Erlass der einstweiligen Verfügung? U. a. venire contra factum proprium.

“Können wir leider keine Auskunft geben”

Bürgschaften von Behörden sind ein beliebter Weg, bedürftigen Mietern die Stellung einer Kaution zu ersparen. Problematisch wird das nur dann, wenn der Vermieter – weil der Mieter auszieht ohne gezahlt zu haben – sein Geld von der Behörde haben will.

In einem solchen Fall haben wir der Behörde ein längeres Schreiben geschickt, dass alle Schulden enthielt und zur Zahlung aufgefordert. Zurück kam ein Textbaustein: “Aus datenschutzrechtlichen Gründen können wir über den Sachverhalt leider keine Auskunft geben.”

Ich wollte anrufen und der Sachbearbeiterin erklären, dass eine Zahlungsaufforderung kein Auskunftsverlangen ist, aber diese hat nur von 8.00-9.00 Uhr Telefonsprechzeit. Wahrscheinlich weil sie weiß, dass die Post bei den meisten Leuten nicht so früh eingeht…

…und der rechte Fuß noch mitmischt…

Hier und hier hatte ich von einem Fall berichtet, in dem der selbe Mandant als Kunde eines großen Energieversorgungsunternehmens

  1. ein Mitteilung, wonach der seit über einem Jahr bestehende Streit gütlich gelöst werden soll,
  2. in der Folge eine Klage auf Duldung der Stromzufuhrunterbrechung
    und
  3. eine Androhung selbiger Unterbrechung nach Erhebung und Rechtshängigkeit der Klage

erhalten hat. Weil scheinbar noch nicht genug Leute mitmachen durften, kam heute – ohne in irgendeiner Weise einen Bezug zu den bereits parallel laufenden Verfahren aufzuweisen – eine weitere Rechnung über wieder einen anderen Betrag. Die bisherigen Schreiben unsererseits zu den o. g. Ziffern 1 – 3 blieben derweil ungehört.

Wenigstens kostet diese Misswirtschaft nach der Privatisierungswelle der 90er-Jahre das Geld der Aktionäre und nicht mehr das der Steuerzahler.

Wenn der linke Fuß nicht weiß, was die rechte Hand tut…

Ich hatte hier von einem Fall berichtet, in dem ein großes Energieunternehmen gegen unseren Mandanten versucht, Forderungen zu betreiben, die so nicht oder in anderer Höhe korrekt sind.

Nachdem die linke Hand eine gütliche Lösung der Sache behauptet hat zu wollen, hat die rechte Hand eine Rechtsanwaltskanzlei beauftragt, die Duldung der Sperrung gerichtlich durchzusetzen. Das Verfahren läuft noch. Dessen ungeachtet hat der linke Fuß des Unternehmens (beide Hände haben ja schon unabhängig voneinander was getan) nun dem Mandanten nochmals angedroht, die Stromversorgung zu sperren, obwohl die Kollegen gerade dies gerichtlich versuchen durchzusetzen.

Ich weiß ja, dass gerade in großen Unternehmen viel Kommunikation schief läuft, aber man sollte doch zumindest meinen, dass der selben Kundennummer(!) im System so viele Informationen zugeordnet werden, dass sich nicht drei oder vier Mitarbeiter parallel mit dem selben fiktiven Problem beschäftigen.

Was ein solches Verhalten für die Kundenzufriedenheit bedeutet, kann sich jeder selbst ausmalen.

“Der ist auf Termin”

Seit über einem Jahr streitet sich die Mandantschaft mit einem Energieversorgungsunternehmen über diverse Forderungen, oftmals weit überzogen und unbegründet, die mit Sperrungsdrohungen versehen werden. Man schreibt sich hin und her, wenn man denn mal einen Mitarbeiter findet, der Ahnung von der Sache hat, beantragt eine einstweilige Verfügung, woraufhin die Gegenseite sich bereit erklärt, nicht zu sperren, etc. pp. Bis man irgendwann zu einem Punkt kommt, dass der Mandant vielleicht tatsächlich einen (geringen) Betrag schuldet. Die Gegenseite erklärt ihre Vergleichsbereitschaft, wir bieten einen Vergleich an.

Die linke Hand (die nicht weiß, was die rechte Hand tut) beauftragt derweil eine Kanzlei mit der Klage auf Duldung der Stromunterbrechung, wobei vorgetragen wird, dass die Forderungen unbestritten gewesen seien.

Auf meinen dezenten Hinweis, dass der Kollege doch bitte mal seine Mandantschaft um Informationen bitten sollte, was in der Sache alles gelaufen ist (hier immerhin ein Leitz-Ordner) und dass man diesseits natürlich sich auf die erklärte Vergleichsbereitschaft verlassen hat, sichert man mir entsprechende Nachforschung zu und stimmt einer Klageerwiderungsfristverlängerung zu.

Das war Mitte Oktober. Einmal hab ich den Kollegen noch erwischt, da hat er mir gesagt, dass seine Mandantschaft nicht reagiere, er sich aber kümmern und Bescheid geben werde. Was er leider nicht gemacht hat.

Immer wenn ich jetzt anrufe und nachfrage, kommt ein Standardsatz:

“Der ist auf Termin.”

Der Kollege ist offensichtlich vielbeschäftigt, was ja schön für ihn ist. Aber das meine Bitten um Rückruf und Mitteilung, ob einer weiteren Fristverlängerung zugestimmt würde, ungehört verhallen, ist leider weniger schön…

Update [25.11.2014, 19:55 Uhr]:

Zur Ehrenrettung des Kollegens hat er heute nachmittag doch noch zurückgerufen. Um mitzuteilen, dass seine Mandantschaft sich immer noch nicht meldet. Auch das kenn ich aus eigener Erfahrung…