Kreatives Aktenstudium

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Manchmal kann man sich als Verteidiger des Gefühls nicht erwehren, dass Staatsanwälte einfach mal alles anklagen und sich denken “Soll doch das Gericht sich drum kümmern”.

So erreicht uns eine Anklage gegen den Mandanten, den nach Ermittlungsakten kein Zeuge bei der (gemeinschaftlichen) Tat gesehen hatte und auch keiner als Täter wieder erkannt hatte.

Der Staatsanwalt, davon unbeirrt, schreibt dann in die Anklage:

Der Tatnachweis wird daher im Rahmen der Hauptverhandlung durch die nachbenannten Beweismittel geführt werden. Im Hinblick auf die Ermittungen der Identität der Tater wird auf den polizeilichen Bericht (Bl. XX) Bezug genommen. Hinsichtlich der gemeinschaftlichen Begehung der Körperverletzungen durch alle drei Angeschuldigten wird der Nachweis insbesondere durch die Angaben der Zeugin A (vgl. Bl. XX) geführt werden […]

Das klingt schon mal toll, nicht? Wenn dann nicht im polizeilichen Bericht zum Mandanten stünde, dass keiner der Geschädigten den angeblichen dritten Täter, also den Mandanten, beschreiben und bei den Wahllichtbildvorlagen – immerhin drei Stück –  (sicher) wiedererkennen konnte.
Die Hauptbelastungszeugin A hat im Rahmen der Wahllichtbildvorlagen sogar ausdrücklich angegeben, dass sie ihn 1) nicht wieder erkennt bzw. 2) einen anderen als Täter erkannt habe.

Da hat der Staatsanwalt wohl besonders kreatives Aktenstudium betreiben müssen, um das Ermittlungsergebnis so hinzubiegen, dass die entlastenden Angaben der Zeugen, die den Mandanten nicht erkannt haben, als belastende Angaben in der Anklageschrift auftauchen konnten…