Unglaubliche Stehkraft

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Wer schon einmal eine Zeugenvernehmung in einer höchst strittigen Angelegenheit mitbekommen hat, weiß, dass die von Zeugen erzählten Geschichten nicht zwangsläufig der Wahrheit entsprechen müssen – oder können.

In einer Körperverletzungssache verschlug es den Verfasser am Montag ans beschauliche, hoch auf einem Berg gelegene, Amtsgericht Dachau, um Schmerzensgeld für eine bei einer Prügelei verursachte Verletzung durchzusetzen. Das Gericht lud – geprägt von Pessimismus – gleich 9 von 10 Zeugen zum ersten Termin, welche die Auseinandersetzung aus verschiedenen Blickwinkeln (Mandant als Opfer, Mandant als Täter und Beklagter als Opfer) zu erzählen.

Dabei war auch ein Zeuge, nennen wir ihn mal K. K misst ca. 1,90 m und bringt, bei entsprechender Statur, geschätzt 150 kg auf die Waage. K war – aus seiner Sicht – eines der Opfer. Er habe Streit mit dem O gesucht, aber als er diesen vor einer Disco konfrontieren wollte, sei er von hinten angriffen und unsanft mit Wucht zu Boden befördert worden – nicht jedoch, bevor er sich noch an der Jacke des O festhalten konnte. Auf diesseitige Nachfrage, was denn mit O geschehen ist, war sich K sehr sicher, dass dieser nicht auf den Boden gefallen ist, sondern “standfest” blieb. Dass die Aussage, dass jemand, an dem plötzlich und ohne Vorwarnung 150 kg Gewicht ruckartig ziehen, nicht umfällt, an der Grenze der Glaubhaftigkeit zu beheimaten sein dürfte, ist wohl Konsens.

Diese Grenze wird jedoch weit überschritten, wenn man O kennt. Dieser war – ohne dass K dies wusste – am Vormittag schon als Zeuge befragt worden und erschien ca. 1,70 m groß und maximal halb so schwer wie K zu sein. Bei aller Stehkraft, die ich ihm nicht absprechen will: Dass O nicht umgefallen wäre, wenn das ganze Gewicht des K urplötzlich an ihm hängt, das entspringt dem Reich der Fantasie. Wie auch wohl der Rest der Aussage des K.

PS: Leider musste sich das Gericht mit der Glaubwürdigkeit des vom Beklagten als Zeugen benannten K nicht auseinandersetzen. Am Ende des Verhandlungstages war der Beklagte nämlich urplötzlich doch bereit, den bereits zu Beginn angebotenen Vergleich zu schließen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt…