Zulässiges Verteidigungsverhalten führt zur Unterbringung

Mit Beschluss vom 16. Dezember 2014 – Az. 1 StR 515/14 – hat der BGH entschieden, dass zulässiges Verteidigungsverhalten – wie das Leugnen der Tatbegehung – zwar weder hangbegründend noch als Anknüpfungspunkt für die Gefährlichkeit gewertet werden darf, jedoch ein solches Verhalten indirekt im Rahmen der Ermessensentscheidung des § 66 II, III 2 StGB a. F. Berücksichtigung finden darf.

Dies hat zur Folge, dass das Gericht Sicherheitsverwahrung deshalb anordnen darf, wenn eine Therapie dadurch unmöglich ist, weil der Täter – der die Tat leugnet – keinen “echten” Therapiewillen und keine Einsicht in die Taten zeigt.

Auch wenn der BGH es anders darstellt, wird hier dennoch das zulässige Leugnen der Tat gegen den Täter verwandt. Denn natürlich kann der Täter, der die Tat leugnet – oder gar nicht begangen hat -, keinen echten Therapiewillen zeigen, insbesondere also auch nicht seine Tat einsehen und bereuen. Da die Sicherungsverwahrung auch vielfach einer Freiheitsstrafe ähnlich durchgeführt wird, erfolgt im Ergebnis eine zusätzliche Bestrafung durch das zulässige Verteidigungsverhalten. Das ist rechtsstaatlich nicht vertretbar.

Lesetipp: Abschaffung des § 166 StGB, nicht Verschärfung

Auch wenn ich mit der Süddeutschen Zeitung aufgrund miserabler Berichterstattung auf lokaler Ebene inklusive der Verbreitung von Unwahrheiten wider besseren Wissens zur Zeit etwas auf Kriegsfuß stehe, ist deren Elite immer noch zu prägnanten und lesenswerten Beiträgen fähig, weshalb ich allen empfehle, Heribert Prantls Kommentar zu den Forderungen, Gotteslästerung (wieder härter) zu bestrafen, zu lesen.

Zum selben Thema auch Prof. Dr. Hoeren im beck-blog: Plädoyer für die Abschaffung von § 166 StGB – Charlie Hebdo und die Folgen.

Entschleunigungsgebot

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In Jugendstrafsachen gilt bekanntlich ein besonderes Beschleunigungsgebot. Jugendliche sollen schnell vor den Jugendrichter, damit der Erziehungsgedanke der Sanktionen des JGG verwirklicht werden kann. Wenn viel Zeit zwischen Tat und Verurteilung vergeht, so der Grundgedanke des Gesetzgebers, dann wird man auf dern Jugendlichen nicht mehr sinnvoll einwirken können.

Vor diesem Hintergrund folgende Anekdote:

Ein Mandant kommt in die Kanzlei zur Beratung, Ende Dezember sei Hauptverhandlung für seinen Fall. Man fragt nach, was denn passiert ist: Er ist am 01.01.2014 mit 0,75 g Haschisch und 0,1 g Speed erwischt worden, die er damals brav abgegeben hat. Und dann passierte bis Ende Oktober erst mal – richtig – gar nichts, bevor der Staatsanwalt – § 31a I BtMG ignorierend – Anklage erhoben hat.

Beschleunigung sieht m. E. anders aus…

In dubio contra reo

Es gibt wohl kaum eine Berufsgruppe, die so desillusioniert mit der Strafjustiz ist, wie die Anwaltschaft. Und große Teile der Strafjustizbehörden bemühen sich ständig, diesem schlechten Ruf gerecht zu werden:

Der Mandant hatte sein Auto – um seinem Zuhause kurzzeitig zu entfliehen – wenige hundert Meter weiter am Straßenrand abgestellt, ein Sixpack aufgemacht und ordentlich seinen Frust wegzutrinken versucht. Wenige Zeit später kommen zwei freundliche Polizeibeamte und lassen ihn blasen und ordnen eine Blutabnahme an. Festgestellter Wert: 1,11‰. Der Mandant sagt ihnen freiwillig, dass er dorthin gefahren ist, aber nicht mehr weiß, wann.

Ohne, dass dem Mandanten nachgewiesen werden könnte, dass er tatsächlich mit 1,11‰ gefahren ist, beantragt der Staatsanwalt wegen “dringenden Tatverdachts” des Vorliegens einer Straftat nach § 316 StGB die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a StPO, was der zuständige Ermittlungsrichter ohne scheinbar die Akte zu lesen, durchwinkt. Weder Staatsanwalt noch Gericht haben scheinbar wahrhaben wollen, dass bei der Beweislage zu Gunsten des Beschuldigten davon auszugehen ist, dass er nicht betrunken gefahren ist.

Jetzt steht der Mandant wohl erstmal für mindestens ein halbes Jahr ohne Führerschein da, obwohl er keine Straftat begangen hat. Das ist doch ein schönes Weihnachtsgeschenk…

Femen-Aktivistin wegen Störung der Religionsausübung verurteilt

Aus den Rubriken “Staatsanwälte und Gerichte haben ja nichts besseres zu tun”* und “Es ist soooo wichtig, dass der Staat religiöse Gefühle mit den Mitteln des Strafrechts schützt”* stammt der Bericht, dass eine damals 20-jährige Femen-Aktivistin nun wegen § 167 StGB zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen á 20 € verurteilt wurde.

Abgesehen davon, dass es Anfang des 21. Jahrhunderts befremdlich ist, dass der deutsche Staat glaubt, er müsste die religiösen Gefühle bestimmter Menschen mit den Mitteln des Strafrechts verteidigen und dafür extra Straftatbestände (§§ 166 ff. StGB) vorhalten, ist eine solche Strafe für einen legitimen Protest deutlich überhöht. Nicht nur, dass hier Grundrechte (Art. 5 GG) eine Rolle spielen, sondern auch das junge Alter der “Täterin” und das Vorgehen der Kirchenbesucher (die sie in Ausübung bester christlicher Nächstenliebe erstmal geohrfeigt haben), würden bei anderen Delikten wohl dazu führen, dass bei einer (angenommen) Nichtvorbestraften eine Einstellung wegen geringer Schuld oder eine weitaus geringere Geldstrafe** folgen würden.

Aber weltanschaulich neutral ist die Bundesrepublik Deutschland halt nunmal nicht…

* Vorsicht, Ironie!
** Zum Vergleich: 60 Tagessätze wurden in einem mir bekannten Fall als angemessen für einfache Körperverletzung (§ 223 StGB) mit mehreren Vorstrafen gesehen

Wundersamer Fristablauf

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Quelle:
David Vignoni / Wikimedia Commons [GNU LGPL Lizenz]

Das Amtsgericht übersendet unserer Mandantin mit Datum 04.11.2014 ein Schreiben, wonach ihr statt Erlass eines Strafbefehls die Einstellung des Verfahrens nach § 153 Abs. 2 StPO angeboten wird, wenn sie dafür freiwillig auf ihre Fahrerlaubnis verzichtet. Das Schreiben enthält u. a. den Satz:

Bitte teilen Sie daher binnen zwei Wochen mit, ob Sie mit obiger Sachbehandlung einverstanden und bereits sind, auf Ihre Fahrerlaubnis zu verzichten.

Weil in Bayern die Uhren aber bekanntlich anders ticken oder die Ungeduld am Jahresende besonders groß ist, erlässt die selbe Richterin am 10.11.2014 den beantragten Strafbefehl. Das nenne ich mal einen wundersamen Fristablauf.

LG München II veröffentlicht Urteil im Fall Uli Hoeneß

Das Urteil gegen Uli Hoeneß ist ab jetzt bei der bayerischen Justiz unter diesem Link abrufbar. Zumindest der Teil, der nicht zensiert wurde.

Interessant wird für alle Strafverteidiger in ähnlichen Sachen vor allem diese Passage sein:

5.
Unter Abwägung sämtlicher für und wider den Angeklagten sprechenden Umstände hat die Kammer die folgenden tat-und schuldangemessenen und erforderlichen Einezelstrafen festgesetzt:
Jahr  Steuerverkürzung  Strafe
2003  14.934.493,49 EUR  2 Jahre und 6 Monate Freiheitsstrafe,
2004  142.151,30 EUR  6 Monate Freiheitsstrafe,
2005  10.749.872,65 EUR  2 Jahre und 6 Monate Freiheitsstrafe,
2006  323.750,72 EUR  7 Monate Freiheitsstrafe,
2007  1.149.174,90 EUR  1 Jahre und 3 Monate Freiheitsstrafe,
2008  894.486,47 EUR  1 Jahre und 3 Monate Freiheitsstrafe,
2009  268.301,67 EUR  7 Monate Freiheitsstrafe.

6.
Dabei ist die Kammer in erheblichem Maße von den durch den BGH in seinem Urteil vom 02.12.2008 entwickelten Grundsätzen zur Strafzumessung bei Steuerhinterziehung abgewichen, weil dies angesichts der außerordentlichen Umstände des Einzefalles geboten war. Der Angeklagte hat sich mit seiner – überstürzten – Selbstanzeige selbst steuerstrafrechtlichen Ermittlungen ausgeliefert. Mangels einerRechtshilfe in Fällen „einfacher” Hinterziehung direkter Steuern durch die Schweizerische Konföderation wären Ermittlungen aber voraussichtlich nicht mit einem vergleichbaren Erfolg geführt worden, wenn sich der Angeklagte durch seine –insbesondere zuletzt – rückhaltlose Kooperation nicht geradezu „ans Messer geliefert“ hätte.
7.
Mit Rücksicht auf den engen zeitlichen, örtlichen und inhaltlichen Zusammenhang der Taten und nach nochmaliger Abwägung sämtlicher für und wider den Angeklagten sprechender Gesichtspunkte hat die Kammer unter maßvoller Erhöhung der höchsten Einzelstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten Freiheitsstrafe gemäß §§ 53, 54 StGB eine Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten festgesetzt, welche tat- und schuldangemessen und erforderlich ist.

(via RAe Dimsic & Tasci)

BGH bestätigt Urteil gegen Lehrerin, die ihren Kollegen mit Falschaussage hinter Gittern gebracht hat

Für Horst Arnold, den mittlerweile verstorbenen Ex-Kollegen von Heidi K., den diese mit ihrer Aussage über eine erfundene Vergewaltigung 5 Jahre ins Gefängnis gebracht, kommt diese Entscheidung zu spät, aber sie kommt: Der BGH hat mit Beschluss vom 22.10.2014 – Az. 2 StR 62/14 – die Freiheitsstrafe von 5 1/2 Jahren wegen schwerer Freiheitsberaubung in mittelbarer Täterschaft (§§ 239 III, 25 I StGB) bestätigt. Damit ist das Urteil des LG Darmstadt (Urteil vom 13. September 2013 – 15 KLs 331 Js 7379/08) rechtskräftig.

Die Hintergründe dieses tragischen Justizirrtums finden sich bei der SZ im Bericht zum ursprünglichen Urteil hier.

Cannabis: “Drogenpolitik ohne Sinn und Verstand”

RiAG Andreas Müller wird manchmal als “härtester Jugendrichter Deutschlands” bezeichnet. Somit ist es besonders interessant, wenn er nun in der “Zeit” die bestehenden Gesetze zur Kriminalisierung als “Drogenpolitik ohne Sinn und Verstand” bezeichnet und vehement für eine Legalisierung wirbt.

Schönes Zitat daraus:

In 20 Jahren als Jugendrichter und mehr als 12.000 Verfahren habe ich nicht einen einzigen Fall gehabt, in dem schwere Straftaten wie Körperverletzung oder Vergewaltigungen durch Cannabis ausgelöst worden wären. Es ist fast immer Alkohol, vielleicht noch in Kombination mit Amphetaminen oder Kokain. Es ist nie der kleine Kiffer.

Müller schließt sich damit einer Resolution von über 100 Strafrechtsprofessoren an, die ebenfalls ein Ende der verfehlten Kriminalisierungspolitik fordern, die hauptsächlich immens viele Ressourcen frisst und keinen Nutzen hat.

Persönlich unterstütze ich diese Forderungen mit vollem Herzen – auch ohne selbst Konsument zu sein.

(via RA Hoenig)

Nachforschung à la DHL

Ich hatte ja berichtet, dass DHL behauptet hatte, mir ein Paket ausgeliefert zu haben, welches ich nie bekommen habe.

In Zeiten des Internets habe ich das letzte Woche sodann per E-Mail und Twitter reklamiert. Letzte Woche Donnerstag erreichte mich dann schon ein Anruf aus Bonn, wonach man mir mitteilte, dass für das Paket unleserlich unterschrieben worden sei. Die Unterschrift könne man mir nicht geben, da müsse der Versender einen Nachforschungsauftrag stellen.

Auf meinen Tweet kam heute ein Anruf eines anderen Mitarbeiters von DHL. Er konnte weitgehend nur wiederholen, was mir am Donnerstag schon mitgeteilt wurde, mit einer Ausnahme: Innerhalb von 3-4 Tagen (also jetzt nicht mehr) könnte man den Paketboten kontaktieren und nachfragen, was er denn gemacht hat. Wieso der Kollege am Donnerstag das nicht veranlasst hat, wisse er aber nicht.

Ich solle doch mal meine Nachbarn (allein 13 Parteien in meinem Haus!) fragen, ob wer das Paket angenommen hat, vielleicht mit nem Aushang im Flur. So kann man seine Zustellungspflichten auch abwälzen..