Heute war also die Fortsetzung der Verhandlung von der ich am Mittwoch berichtet habe und wie sich zeigt, wurde es noch ein wenig Sat.1-Barbara-Salesch-esker als bisher schon. Die Verhandlung wurde ja unterbrochen, da die Staatsanwaltschaft unbedingt den Richter hören wollte, der Herrn S. verurteilt hat und da auch Richter nicht ständig frei haben, musste erstmal vertagt werden. Wir kamen also wieder und der Richter erzählte, was er noch wusste, was im Endeffekt – mit einiger Konsultation der Notizen – dem entsprach was im Urteil und im Protokoll stand. Der Herr S. habe damals die Sachen so eingeräumt, wie angeklagt – inklusive folgenden Tatkomplex, der den Großteil der Anklage im aktuellen Verfahren darstellte:
Am 30.9.11 sei Herr S. von Herrn B. nach Österreich geschickt worden, um dort bei Herrn W. ein Paket abzuholen. Das Paket hat er dann dem hiesigen Angeklagten persönlich in dessen Kfz-Werkstatt übergeben. Dort habe sich herausgestellt, dass in dem Paket ein “Ziegel” Kokain war. Auch Herr W. habe Herrn S. – nach dessen Aussage – Kokain angeboten.
Die Staatsanwältin war also froh, dass der Zeuge wiedergab, was in der Anklage stand und auch meinte, er habe dem Herrn S. geglaubt, weil er sich erheblich selbst belastet habe damit. Und er als Amtsrichter hat ja soviel zu tun, da könne er glaubhaft anmutende Geständnisse nicht auch noch großartig überprüfen.
Die Freude der Staatsanwältin wehrte jedoch nur kurz, denn nachdem der Zeuge entlassen war, zauberte die Verteidigerin – mit einer gewissen sichtbaren Freunde – aus ihren Unterlagen:
- Ein Flugticket nachdem der Angeklagte mit seinem Freund N. vom 28.9 bis 2.10.11 eine Reise nach Ibiza gebucht hatte
- Die Bestätigung dass der Angeklagte und Herr N. auch sowohl hin als auch zurück geflogen sind
- Den Zeugen N. der bestätigte dass der Angeklagte die ganze Zeit über mit ihm in Ibiza war.
- Und Fotos die den Angeklagten mit N. und zwei anderen Damen auf Ibiza zeigen im bewussten Tatzeitraum
Nachdem diese Unterlagen korrekt verlesen wurden und der Zeuge vernommen war, war der Frau Staatsanwältin die Freude sichtlich vergangen, hatte die Verteidigung doch gerade ziemlich hieb- und stichfest bewiesen, dass Herr S. im wichtigsten Tatvorwurf gelogen hatte. Was auch erklärt, warum er selbst im Prozess nun nicht mehr aussagen wollte.
Kampflos wollte sie jedoch nicht aufgeben und regte nun an, den Herrn W. als Zeugen zu vernehmen, der in Österreich dem Herrn S. das Paket gegeben haben soll. Dazu sollte er aus Österreich herangeschafft werden (dort sitzt er in der JVA selbst in Untersuchungshaft). Mit der Verlesung seiner Aussagen war die Staatsanwältin nicht einverstanden. Auch dass Herr W. durch seinen Anwalt schon klipp und klar ausgerichtet hat, dass er nicht aussagen werde, beirrte sie nicht. Das Gericht zog sich zur Beratung zurück und entschied dann, die Aussagen informatorisch nach § 251 III StPO zu verlesen, um zu klären, ob es die Aussage von Herrn W. – der beim angeklagten Geschehen unstreitig nicht anwesend war – bräuchte. Das fand die Staatsanwältin nach Verlesung immer noch und stellte förmlich Beweisantrag.
Das Gerich zog sich also nochmal zur Beratung zurück und entschied dann den Antrag nach § 244 V StPO abzulehnen. Das Gericht hat wohl auch die Entscheidung des BGH (BGH NStZ 2001, 48) gefunden, wonach “[e]in Beweisantrag auf Vernehmung eines eindeutig berechtigt das Zeugnis verweigernden Zeugen unzulässig [wäre]” und den Beweisantrag abgelehnt. Leider konnte die Staatsanwältin dies nicht mehr miterleben, da sich (jetzt erst) bewusst wurde, dass sie zu erkältet sei, um der Verhandlung weiter beizuwohnen und daher einen Kollegen geschickt hatte, der das ohne große Regung zur Kenntnis nahm.
Am Ende plädierte der neue Staatsanwalt trotzdem auf Verurteilung – wobei er auf die Tatsache, dass Herr S. dem Angeklagten nichts hat bringen können, wenn der in Ibiza verweilte, überhaupt nicht einging. Die Verteidigerin erklärte in einem (sehr guten) Plädoyer recht breit warum ein mittelbarer Zeuge der im Rahmen von § 31 BtMG solche Lügen erzählt nicht wirklich geeignet sein kann, eine Verurteilung zu begründen (vor allem da die Polizei trotz redlicher Bemühen überhaupt nichts finden konnte, was die Geschichte des Herrn S. bestätigt hätte). Das Gericht schloss sich dem nach kurzer Beratung an und sprach konsequent frei.
Wendungen also, wie sie im Fernsehen vorkommen könnten. Schade nur, dass es im wirklichen Leben passiert ist. Staatsanwaltschaft und Polizei haben es komplett versäumt, selbst die grundlegenden Fakten zu überprüfen – nämlich ob der Angeklagte zum vermentlichen Tatzeitpunkt überhaupt im Land war! – und haben – mit Hilfe eines Ermittlungsrichters – einen Unschuldigen für 8 Monate in Untersuchungshaft nehmen lassen. Dessen Lebensgrundlage wurde komplett zerstört, sein Ansehen ist ruiniert und keiner hat gewonnen – außer Herr S., dessen wilde Geschichten ihm einen § 31 BtMG gebracht haben.