Die Fluchtgefahr des nicht Fliehenden und andere Merkwürdigkeiten

Die Mühlen der Justiz begannen für den Mandanten im September 2012 zu mahlen. Damals hat ein extrem glaubhafter Kronzeuge im Rahmen von § 31 BtMG u.a. ausgesagt, dass der Mandant 300 kg Kokain gekauft und dann vertrieben hätte, als er mit einem auffälligen italienischen Sportwagen in eine norddeutsche Stadt gefahren sei. Ein anderer Zeuge hat gesagt, der Mandant habe einen schwunghaften Dopinghandel betrieben (mit fünfstelligen Monatsverdienst). Gefunden hat die Polizei beim Mandanten kein Kokain und Dopingmittel nur zum Eigenverbrauch.
Trotzdem erließ der Ermittlungsrichter Haftbefehl und der Mandant saß bis zur Verhandlung im März 2013 in Untersuchungshaft.

In der Verhandlung kam der Kronzeuge nicht, der andere Zeuge war nicht geladen. Die geladenen Zeugen – Polizisten und Richter die den Kronzeugen vernommen hatten – haben wiedergegeben, was der Kronzeuge ihnen gegenüber gesagt hat. Die Beamten vom Zoll haben ausgesagt, dass sie keine Erkenntnisse ob des schwunghaften Handels mit Dopingmitteln haben, obwohl der Mandant observiert wurde. Nachdem das Gericht aber den Kronzeugen hören wollte, musste erstmal zwei Wochen vertagt werden. Die Staatsanwältin wollte jetzt auch den anderen Zeugen hören, den mit den Dopingmitteln. Warum dieser nicht gleich benannt wurde, hat sie aber nicht erklärt.

Die Verteidigerin – die ich als Referendar begleitet habe – hat daraufhin Aufhebung bzw. Außervollzugsetzung (§ 116 StPO) des Haftbefehls beantragt. Die Staatsanwältin wollte dies nicht und hat argumentiert, der Mandant habe ja Zugriff auf schnelle italienische Sportwägen, mit denen er außer Landes fliehen könnte. Das Gericht folgte dem – wenn auch mit dem Zusatz dass es “noch” die Voraussetzungen für gegeben erachtet.

Im nächsten Termin (am 3.4.13) kam dann der Kronzeuge und berief sich – wie zu erwarten – auf sein Aussageverweigerungsrecht (§ 55 StPO, vgl. BGH, Beschluss vom 11. Juni 2002, 2 StE 7/01-6 StB 12/02). Der Dopingmittel-Zeuge kam auch und berief sich ebenfalls auf sein Aussageverweigerungsrecht. Der Staatsanwältin – mittlerweile im achten Monat schwanger (geschätzt) – fiel ein, dass sie noch mehr Zeugen hören möchte. Warum ihr dies erst jetzt einfiel? Keine Ahnung. Davon sollte einer aus Österreich kommen, der den Mandanten zwar kennt, aber mit dem angeklagten Sachverhalt überhaupt nichts zu tun hatte.

Die Verteidigerin beantragte daraufhin nochmals Aufhebung bzw. Außervollzugsetzung des Haftbefehls mit dem Argument, dass ohne Zeugen auch kaum eine hohe Strafe verhängt werden wird und somit Fluchtanreize nicht bestünden. Das Gericht folgte dem und setzte den Haftbefehl außer Vollzug, auch weil der Mandant für – nicht anklagerelevante – Drogenprobleme eine Therapie machen wollte, die die Woche drauf beginnen sollte. Die Staatsanwältin legte Beschwerde ein – reflexartig – und kündigte an, die Begründung nachzureichen. Dass die mittlerweile gekommen sei hab ich nicht gehört und der Mandant ist auch nicht geflohen, sondern brav bei der Therapie aufgetaucht. Die Fluchtgefahr bestand also wohl nur in den Köpfen der Staatsanwaltschaft und des Ermittlungsrichters.

Ich bin also mal gespannt auf den nächsten Termin am nächsten Dienstag.

PS: Der Kronzeuge ist der selbe wie in dem Prozess über den ich letzten Monat berichtet habe und die Staatsanwältin ist auch die selbe.

Ein Gedanke zu „Die Fluchtgefahr des nicht Fliehenden und andere Merkwürdigkeiten

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