Abmahneritis: Das Endurteil mit Besprechung

Relativ schnell ist nun das begründete Urteil des LG München I – Az. 33 O 4149/14 – eingegangen, welches den Abmahnungen des Kollegen Winter zumindest in meinem Fall hoffentlich ein Ende bereitet:

Zum besseren Verständnis des Urteils stelle ich auch noch zur Verfügung:

Besprechung des Urteils

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Abmahneritis: Sieg auf ganzer Linie (vorläufig)

Ich hatte gegen 16 Uhr versucht, telefonisch bei der Geschäftsstelle das Ergebnis zu erfragen. Da hieß es recht pampig, dass man die Akte nicht da habe, das werde eh alles grad gefaxt. Ein entsprechendes Fax ist jedoch bisher Fehlanzeige.

Weil mich die Sache nicht schlafen lassen hätte, habe ich gehofft, dass um halb sechs der vorsitzende Richter selbst noch arbeiten wird und daher mich dorthin verbinden lassen. Von ihm dann die frohe Botschaft:

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vom 10.03.2014 wurde zurückgewiesen!

Die Kosten trägt der Kollege Winter, wobei die vorläufige Vollstreckung nach §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO tenoriert wurde.

Die Gründe konnte ich noch nicht in Erfahrung bringen, werde das Urteil aber nachreichen sobald ich es habe. Vorerst kann ich aber ruhig schlafen heute 🙂

Update:
Die Entscheidung – ohne Gründe – in schwarz-auf-weiß ist nun mittlerweile auch eingegangen.

Abmahneritis: Von wegen “Eilverfahren”

Im Streit mit dem Kollegen Winter war am 13.05.2014 Termin zur mdl. Verhandlung vor der 33. Zivilkammer des LG München I. Am 30.04.2013 wurde von unserer Seite der letzte Schriftsatz eingereicht, der nochmals ausführlichst die Sach- und Rechtslage zusammengefasst hat. Das LG München I hat Termin zur Verkündung einer Entscheidung auf 03.06.2014, 15:00 Uhr, Saal 301 (Lenbachplatz 7) bestimmt (falls jemand hingehen möchte).

Nun kam vom Kollegen Winter ein Schriftsatz vom 26.05.2014 (= mein Geburtstag), mit dem Antrag, das Gericht möge doch bitte den Verkündungstermin aufheben und bis nächsten Monat verschieben, denn, so die Begründung, aufgrund seiner vielen Gerichtstermine könne er nicht früher die Notizen des Terminvertreters und unseren Schriftsatz lesen und überdies sei eine Antwort hierauf ja erfoderlich.

Bereits in der Verhandlung hat das Gericht aber schon darauf hingewiesen, dass es eine erneute Schriftsatzfrist für unnötig hält und darüber hinaus auch für schädlich, weil wir uns ja in einem “Eilverfahren” befinden. Das Gericht hat folgerichtig auch das Gesuch des Kollegen Winter mit Verfügung vom selben Tage abgewiesen, mit dem Hinweis, dass bereits vor und im Verhandlungstermin hinreichend Gelegenheit zur Äußerung bestand.

Ganz streng genommen hat der Kollege Winter es dem Gericht ja damit sehr viel einfacher gemacht, den Antrag zurückzuweisen. Denn nach gefestigter Rechtsprechung (vgl. nur OLG Hamm, Urteil vom 15. März 2011 – Az. I-4 U 200/10) ist die Dringlichkeitsvermutung nach § 12 II UWG widerlegt und somit der Verfügungsgrund als entfallen anzusehen, wenn auch nur ein Fristverlängerungs- oder Terminverlegungsantrag gestellt wird.
Dazu das OLG Hamm in vorgenannter Entscheidung:

Die Dringlichkeit wird nach § 12 II UWG vermutet. Diese Vermutung wird nach allgemeiner Auffassung jedoch widerlegt, wenn der Antragsteller den Prozess selbst zögerlich führt und dadurch zu erkennen gibt, dass es ihm mit der Untersagung des geltend gemachten Wettbewerbsverstoßes nicht eilig ist. […] Von ihm verursachte Verfahrensverzögerungen bei der Erwirkung der einstweiligen Verfügung lassen regelmäßig darauf schließen, dass ihm die Sache nicht so eilig ist (st. Rspr.; vgl. näher hierzu Berneke, Die einstweilige Verfügung in Wettbewerbssachen, 2. Aufl. 2003, Rn. 85 m.w.N.). Das ist regelmäßig dann der Fall, wenn Vertragungen oder Terminsverlegungen beantragt werden, weil nämlich damit gerechnet werden muss, dass der Termin auf einen späteren Zeitpunkt verlegt werden müsste

Ich blicke daher weiter mit Zuversicht und Bange auf den morgigen Termin und hoffe, das Gericht trifft die richtige Entscheidung.

So oder so hat der Spuk hoffentlich morgen ein Ende und ich kann wieder ruhig schlafen.

Gerichtssaalszenen: Auf dem Land, da trifft man viele Bekannte

Wer mein Profil gelesen hat, weiß, dass ich in Grafing bei München, einem Ort mit 1/5 der Einwohner meines Heimatstadtbezirks, arbeite. Naturgemäß stehen die Gerichtstermine somit auch bei den ländlichen Gerichten im Umkreis an, so heute beim Amtsgericht in Ebersberg (eine Kreisstadt mit noch weniger Einwohnern als Grafing).

Die Verhandlung an sich war wenig spektakulär, Räumungsverfahren bei dem die Beklagten die gerichtlichen Fristen verstreichen haben lassen und im Termin der Kollege auf der Gegenseite einen Schriftsatz mit neuem Vortrag überreicht hat und ansonsten versucht hat, auf die Tränendrüse zu drücken. Ich bin wirklich kein herzloser Mensch, aber wenn Mieter zwei Jahre lang nicht oder nur sporadisch zahlen und auch nach der Kündigung sechs Monate nicht ausziehen, dann wirkt bei mir sowas in der Regel nicht mehr. Trug doch der Beklagtenvertreter vor, einer der Beklagten arbeite bei ihm in der Kanzlei. Der musste es also eigentlich besser wissen.

Interessanter war es, mit der Richterin danach zu plauschen. Wie ich im Vorfeld von meinem Arbeitgeber erfahren hatte, hatten wir nämlich zusammen mündliche Prüfung im zweiten Examen und konnten daher über die Vorzüge und Nachteile der Arbeit auf dem Land (vielfältigere Fälle vs. Notwendigkeit, sich auch in wenig bekannte Felder einzuarbeiten) unterhalten.

Als ich dann für die folgende Verhandlung Platz machen wollte, kam mir eine ehemalige Kommilitonin entgegen, die ich seit vier Jahren nicht mehr gesehen hatte. Verständlicherweise hab ich auf ihre überraschte Begrüßung mit einem “Kennen wir uns?” reagiert. Zu meiner Verteidigung muss ich aber anführen, dass sie etwas anders aussah (und ich sowieso ein schlechtes Gedächtnis für Gesichter hab). Sie erzählte mir, dass sie bei ihrem Lebensgefährten in der Kanzlei arbeite, der als Anwalt im folgenden Termin kam. Wieso sie sich an mich erinnern konnte (und von mir erzählt hatte), wusste sie auch noch:

“Du hast mir den Glauben an Gott ausgetrieben.” 1

Und da sage nochmal einer, ich könnte nicht überzeugend sein 😉


1 Zur Erklärung:
Nein, ich war nicht besonders gemein zu ihr. Als Antitheist sind Religionskritik und entsprechende philosophische Erörterungen für mich nur seit vielen Jahren von Interesse und eines Tages sprachen wir vor, während oder nach einer Vorlesung im wahrsten Sinne über Gott und die Welt und ich hab ihr natürlich erzählt, was aus meiner Sicht gegen die Existenz eines Gottes (gleich welcher Art) und gegen Religionen spricht und mal erwähnt, wie viel Geld der Staat den beiden Großkirchen wirklich jedes Jahr zahlt.

NSU-Prozess: Saal-Probleme, Teil ∞, und das Kreuz mit dem Kreuz

Im heutigen Fortsetzungstermin des NSU-Prozess wiederholen die Verteidiger von Beate Zschäpe etwas, das (fast) alle Medien und Politiker des Landes schon getan haben: Sie fordern einen größeren Saal. Die Chancen, dass ein entsprechender Antrag der Verteidigung erfolgreich sein wird, sind wohl mit ca. +/- 0% zu bewerten. Das Gericht könnte dem Antrag nur stattgeben, wenn ein größerer Saal verfügbar wäre, was gerade nicht der Fall ist. Auch dann wären es natürlich dazu nicht verpflichtet, da sich weder aus dem Grundgesetz noch aus § 169 GVG eine bestimmte Größe des Saals ablesen lässt. Der Antrag ist daher wohl nur gestellt worden, um a) das Verfahren zu verzögern und b) für eine Revision sicher zu gehen, dass es nicht an formellen Fehlern scheitert.

Einer der Nebenkläger will derweil das Holzkreuz aus dem Saal entfernen lassen. Die Bayern sind ja grundsätzlich etwas hartnäckig was ihre Kreuze in Sälen und Klassenzimmern angeht (vgl. nur BVerfGE 93, 1), für Gerichtssäle hat das Bundesverfassungsgericht jedoch bereits in den 1970er-Jahren in BVerfGE 35, 366 entschieden, dass “[die] Weigerung […] eine mündliche Verhandlung in einem Gerichtssaal ohne Kruzifix zu ermöglichen” einen Beteiligten in seinem Grundrecht aus Art. 4 I GG verletzen kann, so dass dieser Antrag – wenn der Senat wirklich so revisionssicher arbeiten will wie möglich – wohl Antrag auf Erfolg haben wird.

NSU-Prozess: Presseplätze neu vergeben – oder: Das Risiko von Verlosungen

Wei gerade berichtet, hat das OLG München die Presseplätze neu verteilt. Nach langer Kritik in Medien und Politik, bis zu einer fragwürdigen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, war eine Neuvergabe nötig geworden. Das OLG entschied sich, das Verfahren neu zu starten, um eine rechtsstaatlich korrekte Lösung zu schaffen und entschied sich dabei, die Plätze zu verloren, nachdem Kontingente nach objektiven Kriterien gebildet worden waren (u.a. für türkische, griechische und persische Medien, Nachrichtenagenturen etc.)

Das heutige Verfahren war also garantiert komplett fair und objektiv – und wird trotzdem ein Haufen Kritik nach sich ziehen. Denn einige der Medien, die am lautesten geschrien haben, haben gemerkt, dass Losverfahren halt ein Glücksspiel sind. So sind u.a. die FAZ, die Süddeutsche Zeitung, die ZEIT und die taz – die alle vorher Plätze sicher hatten – nicht mehr dabei. Die taz erwägt wohl auch bereits eine Klage auf Videoübertragung für Journalisten deshalb. Dabei sind dafür u.a. die Bild, Passasuer Neue Presse, ARD und WDR, aber auch RTL II und Sat 1 und Exoten wie “Brigitte” und “Hallo München” haben jetzt feste Plätze erhalten. Auf Twitter hat schon längst eine Mischung aus Hohn, Sarkasmus und Verärgerung darüber begonnen, die wohl bald auch in den etablierten Medien zu finden sein wird. Dabei vergessen alle diejenigen, die sich über “Brigitte” und Co. beim NSU-Prozess lustig machen eines: Das ist nunmal das Risiko eines Losverfahrens, das fast alle wollten. Dem Gesetz nach gibt es halt keinen Unterschied zwischen SZ oder FAZ und “Brigitte” oder “Hallo München”. Jeder, der fordert, dass so eine Unterscheidung gemacht wird, der will ein Verfahren welches nichts mehr mit Rechtsstaatlichkeit zu tun hat.

(Teil-)Freispruch beim auf § 31 BtMG gestützten Verfahren

Heute war der dritte (und zum Glück letzte) Verhandlungstag im Fall von dem ich hier berichtet habe. Neue Zeugen gab es nur eine, die bezüglich des AMG-Vorwurfs gegen den Angeklagten (Punkt 4. der Anklage) mehr schlecht als recht wiederholt hat, was der Zeuge L., der beim letzten Mal geschwiegen hatte, denn so bei der Vernehmung gesagt hat. Sonst gab es kaum was neues, so dass plädiert werden konnte. Die Vertreterin der Staatsanwaltschaft – die sich (Respekt!) sichtlich kurz vorm Entbindungstermin die Mühe gemacht hat, persönlich anwesend zu sein – sah den Angeklagten vollkommen überführt an, auch die Glaubwürdigkeit der Zeugen S. und L. sah sie als gegeben an und forderte 3 Jahre Freiheitsstrafe.

Die Verteidigerin, die ich begleitet hatte, sah dies naturgemäß etwas anders und forderte Freispruch, da die Zeugen S. und L. ja vor Gericht eben nichts gesagt hatten und aber – gerade bei Zeugen im Rahmen des § 31 BtMG – ein besonders hoher Maßstab anzulegen ist, wenn die Zeugen nicht befragt werden können (vgl. BGH NStZ 2004, 691). Außerdem wurden beim Angeklagten keine BtM gefunden und der Zeuge S. wurde in einem anderen Verfahren (nämlich dem, von dem ich hier berichtet habe) zweifelsfrei der Lüge im Rahmen des § 31 BtMG überführt. Die Verteidigerin forderte daher naturgemäß Freispruch.

Ganz wollte das Gericht dem nicht folgen – was den AMG-Vorwurf anging wurde der Angeklagte verurteilt. Im größten Teil der Anklage – nämlich den gesamten BtM-Vorwürfen des Herrn S. (inklusive eines angeblichen Kaufs von 300 kg Kokain) – wurde er jedoch freigesprochen, da auch das Gericht Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Herrn S. hatte. Damit war der Angeklagte (neben dem bereits im März freigesprochenen Mitbeschuldigten, über den ich damals berichtet habe, und einem Mitbeschuldigten, der in Österreich freigesprochen wurde) der dritte der allein aufgrund der Verdächtigungen des Herrn S. verfolgt wurde und wo diese sich als nicht haltbar erwiesen haben. Zwei weitere Mitbeschuldigte warten noch auf ihre Verhandlungen.

PS: Herr S. hat nur bei der Polizei und in seiner eigenen Verhandlung sowie in Österreich ausgesagt, jedoch nie als Zeuge vor einem deutschen Gericht, so dass seine Aussagen von § 153 StGB nicht erfasst werden. Ein Schelm, der Böses dabei denkt.

Die Fluchtgefahr des nicht Fliehenden und andere Merkwürdigkeiten

Die Mühlen der Justiz begannen für den Mandanten im September 2012 zu mahlen. Damals hat ein extrem glaubhafter Kronzeuge im Rahmen von § 31 BtMG u.a. ausgesagt, dass der Mandant 300 kg Kokain gekauft und dann vertrieben hätte, als er mit einem auffälligen italienischen Sportwagen in eine norddeutsche Stadt gefahren sei. Ein anderer Zeuge hat gesagt, der Mandant habe einen schwunghaften Dopinghandel betrieben (mit fünfstelligen Monatsverdienst). Gefunden hat die Polizei beim Mandanten kein Kokain und Dopingmittel nur zum Eigenverbrauch.
Trotzdem erließ der Ermittlungsrichter Haftbefehl und der Mandant saß bis zur Verhandlung im März 2013 in Untersuchungshaft.

In der Verhandlung kam der Kronzeuge nicht, der andere Zeuge war nicht geladen. Die geladenen Zeugen – Polizisten und Richter die den Kronzeugen vernommen hatten – haben wiedergegeben, was der Kronzeuge ihnen gegenüber gesagt hat. Die Beamten vom Zoll haben ausgesagt, dass sie keine Erkenntnisse ob des schwunghaften Handels mit Dopingmitteln haben, obwohl der Mandant observiert wurde. Nachdem das Gericht aber den Kronzeugen hören wollte, musste erstmal zwei Wochen vertagt werden. Die Staatsanwältin wollte jetzt auch den anderen Zeugen hören, den mit den Dopingmitteln. Warum dieser nicht gleich benannt wurde, hat sie aber nicht erklärt.

Die Verteidigerin – die ich als Referendar begleitet habe – hat daraufhin Aufhebung bzw. Außervollzugsetzung (§ 116 StPO) des Haftbefehls beantragt. Die Staatsanwältin wollte dies nicht und hat argumentiert, der Mandant habe ja Zugriff auf schnelle italienische Sportwägen, mit denen er außer Landes fliehen könnte. Das Gericht folgte dem – wenn auch mit dem Zusatz dass es “noch” die Voraussetzungen für gegeben erachtet.

Im nächsten Termin (am 3.4.13) kam dann der Kronzeuge und berief sich – wie zu erwarten – auf sein Aussageverweigerungsrecht (§ 55 StPO, vgl. BGH, Beschluss vom 11. Juni 2002, 2 StE 7/01-6 StB 12/02). Der Dopingmittel-Zeuge kam auch und berief sich ebenfalls auf sein Aussageverweigerungsrecht. Der Staatsanwältin – mittlerweile im achten Monat schwanger (geschätzt) – fiel ein, dass sie noch mehr Zeugen hören möchte. Warum ihr dies erst jetzt einfiel? Keine Ahnung. Davon sollte einer aus Österreich kommen, der den Mandanten zwar kennt, aber mit dem angeklagten Sachverhalt überhaupt nichts zu tun hatte.

Die Verteidigerin beantragte daraufhin nochmals Aufhebung bzw. Außervollzugsetzung des Haftbefehls mit dem Argument, dass ohne Zeugen auch kaum eine hohe Strafe verhängt werden wird und somit Fluchtanreize nicht bestünden. Das Gericht folgte dem und setzte den Haftbefehl außer Vollzug, auch weil der Mandant für – nicht anklagerelevante – Drogenprobleme eine Therapie machen wollte, die die Woche drauf beginnen sollte. Die Staatsanwältin legte Beschwerde ein – reflexartig – und kündigte an, die Begründung nachzureichen. Dass die mittlerweile gekommen sei hab ich nicht gehört und der Mandant ist auch nicht geflohen, sondern brav bei der Therapie aufgetaucht. Die Fluchtgefahr bestand also wohl nur in den Köpfen der Staatsanwaltschaft und des Ermittlungsrichters.

Ich bin also mal gespannt auf den nächsten Termin am nächsten Dienstag.

PS: Der Kronzeuge ist der selbe wie in dem Prozess über den ich letzten Monat berichtet habe und die Staatsanwältin ist auch die selbe.

…und sonst auch die Felle davon schwimmen

Heute war also die Fortsetzung der Verhandlung von der ich am Mittwoch berichtet habe und wie sich zeigt, wurde es noch ein wenig Sat.1-Barbara-Salesch-esker als bisher schon. Die Verhandlung wurde ja unterbrochen, da die Staatsanwaltschaft unbedingt den Richter hören wollte, der Herrn S. verurteilt hat und da auch Richter nicht ständig frei haben, musste erstmal vertagt werden. Wir kamen also wieder und der Richter erzählte, was er noch wusste, was im Endeffekt – mit einiger Konsultation der Notizen – dem entsprach was im Urteil und im Protokoll stand. Der Herr S. habe damals die Sachen so eingeräumt, wie angeklagt – inklusive folgenden Tatkomplex, der den Großteil der Anklage im aktuellen Verfahren darstellte:

Am 30.9.11 sei Herr S. von Herrn B. nach Österreich geschickt worden, um dort bei Herrn W. ein Paket abzuholen. Das Paket hat er dann dem hiesigen Angeklagten persönlich in dessen Kfz-Werkstatt übergeben. Dort habe sich herausgestellt, dass in dem Paket ein “Ziegel” Kokain war. Auch Herr W. habe Herrn S. – nach dessen Aussage – Kokain angeboten.

Die Staatsanwältin war also froh, dass der Zeuge wiedergab, was in der Anklage stand und auch meinte, er habe dem Herrn S. geglaubt, weil er sich erheblich selbst belastet habe damit. Und er als Amtsrichter hat ja soviel zu tun, da könne er glaubhaft anmutende Geständnisse nicht auch noch großartig überprüfen.

Die Freude der Staatsanwältin wehrte jedoch nur kurz, denn nachdem der Zeuge entlassen war, zauberte die Verteidigerin – mit einer gewissen sichtbaren Freunde – aus ihren Unterlagen:

  1. Ein Flugticket nachdem der Angeklagte mit seinem Freund N. vom 28.9 bis 2.10.11 eine Reise nach Ibiza gebucht hatte
  2. Die Bestätigung dass der Angeklagte und Herr N. auch sowohl hin als auch zurück geflogen sind
  3. Den Zeugen N. der bestätigte dass der Angeklagte die ganze Zeit über mit ihm in Ibiza war.
  4. Und Fotos die den Angeklagten mit N. und zwei anderen Damen auf Ibiza zeigen im bewussten Tatzeitraum

Nachdem diese Unterlagen korrekt verlesen wurden und der Zeuge vernommen war, war der Frau Staatsanwältin die Freude sichtlich vergangen, hatte die Verteidigung doch gerade ziemlich hieb- und stichfest bewiesen, dass Herr S. im wichtigsten Tatvorwurf gelogen hatte. Was auch erklärt, warum er selbst im Prozess nun nicht mehr aussagen wollte.
Kampflos wollte sie jedoch nicht aufgeben und regte nun an, den Herrn W. als Zeugen zu vernehmen, der in Österreich dem Herrn S. das Paket gegeben haben soll. Dazu sollte er aus Österreich herangeschafft werden (dort sitzt er in der JVA selbst in Untersuchungshaft). Mit der Verlesung seiner Aussagen war die Staatsanwältin nicht einverstanden. Auch dass Herr W. durch seinen Anwalt schon klipp und klar ausgerichtet hat, dass er nicht aussagen werde, beirrte sie nicht. Das Gericht zog sich zur Beratung zurück und entschied dann, die Aussagen informatorisch nach § 251 III StPO zu verlesen, um zu klären, ob es die Aussage von Herrn W. – der beim angeklagten Geschehen unstreitig nicht anwesend war – bräuchte. Das fand die Staatsanwältin nach Verlesung immer noch und stellte förmlich Beweisantrag.

Das Gerich zog sich also nochmal zur Beratung zurück und entschied dann den Antrag nach § 244 V StPO abzulehnen. Das Gericht hat wohl auch die Entscheidung des BGH (BGH NStZ 2001, 48) gefunden, wonach “[e]in Beweisantrag auf Vernehmung eines eindeutig berechtigt das Zeugnis verweigernden Zeugen unzulässig [wäre]” und den Beweisantrag abgelehnt. Leider konnte die Staatsanwältin dies nicht mehr miterleben, da sich (jetzt erst) bewusst wurde, dass sie zu erkältet sei, um der Verhandlung weiter beizuwohnen und daher einen Kollegen geschickt hatte, der das ohne große Regung zur Kenntnis nahm.

Am Ende plädierte der neue Staatsanwalt trotzdem auf Verurteilung – wobei er auf die Tatsache, dass Herr S. dem Angeklagten nichts hat bringen können, wenn der in Ibiza verweilte, überhaupt nicht einging. Die Verteidigerin erklärte in einem (sehr guten) Plädoyer recht breit warum ein mittelbarer Zeuge der im Rahmen von § 31 BtMG solche Lügen erzählt nicht wirklich geeignet sein kann, eine Verurteilung zu begründen (vor allem da die Polizei trotz redlicher Bemühen überhaupt nichts finden konnte, was die Geschichte des Herrn S. bestätigt hätte). Das Gericht schloss sich dem nach kurzer Beratung an und sprach konsequent frei.

Wendungen also, wie sie im Fernsehen vorkommen könnten. Schade nur, dass es im wirklichen Leben passiert ist. Staatsanwaltschaft und Polizei haben es komplett versäumt, selbst die grundlegenden Fakten zu überprüfen – nämlich ob der Angeklagte zum vermentlichen Tatzeitpunkt überhaupt im Land war! – und haben – mit Hilfe eines Ermittlungsrichters – einen Unschuldigen für 8 Monate in Untersuchungshaft nehmen lassen. Dessen Lebensgrundlage wurde komplett zerstört, sein Ansehen ist ruiniert und keiner hat gewonnen – außer Herr S., dessen wilde Geschichten ihm einen § 31 BtMG gebracht haben.

Wenn der Kronzeuge kalte Füße bekommt…

Heute habe ich eine meine Ausbildungsrechtsanwältinnen in die Hauptverhandlung begleitet, in der gegen einen anderen Angeklagten verhandelt wurde, der vom selben Haupt- (und Einzig-)Belastungszeugen der Staatsanwaltschaft belastet wurde wie ihr Mandant auch. Die Anklage war bereits ein kleines Meisterwerk und stützte sich quasi ausschließlich auf die Aussage des Herrn S., der seinerzeit – in einem Anfall von staatsbürgerlicher Pflicht? – den § 31 BtMG entdeckt hat und beschlossen hatte, gegen eine Reihe von Leuten auszusagen. In seinem eigenen Verfahren wegen BtM wurde Herr S. zuvor bereits verurteilt, seine Berufung ist jedoch noch offen. Nachdem die Staatsanwältin also ihr Meisterwerk vorgelesen hatte und der Angeklagte von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hatte, war also Herr S. dran. Er kam – mit Zeugenbeistand – setzte sich hin, bestätigte seine Personalien und berief sich dann auf sein Auskunftsverweigerungsrecht, da ja ein Verfahren gegen ihn noch läuft. Sprachs, wurde entlassen und verschwand.

Zu diesem Zeitpunkt tat mir die Staatsanwältin ja noch leid. Quasi ihre ganze Anklage war wohl auf der Aussage dieses Zeugen aufgebaut. Der Mandant meiner Anwältin und ein anderer – ebenfalls von Herrn S. beschuldigter – wurden noch als Zeugen gehört, aber beriefen sich – wohl vorhersehbar für die Staatsanwältin – ebenfalls auf ihr Auskunftsverweigerungsrecht. Auch Versuche der Staatsanwältin, den § 55 StPO extrem wörtlich auszulegen, halfen da nichts, da auch höchstrichterlich anerkannt ist, dass im BtM-Bereich quasi jede Antwort bereits eine mögliche Selbstbelastung zur Folge haben kann. Die Dame wirkte daher etwas verzweifelt, wollte aber nichts unversucht lassen, um die Aussage von Herrn S. doch noch einzuführen. Daher wurden die Kripo-Beamten kurzfristig ins Gericht geladen, die aber – mit mehreren Vorhalten – nur wiederholen konnten, was bereits in den Vernehmungsprotokollen zu lesen stand und – abgesehen davon dass es sowieso nur noch Hörensagen war – die Anklage nicht genug stützen konnten. Daher wollte die Staatsanwältin den Richter als Zeugen hören, der Herrn S. erstinstanzlich verurteilt hat und gegen dessen Urteil Herr S. Berufung eingelegt hat. Erklären, was dieser beweisen können solle, was nicht bereits in dessen Urteil bzw. Verhandlungsprotokoll steht und von den Kripo-Beamten gesagt wurde, konnte sie nicht. Entsprechende Einwände der Verteidigung ließ sie nicht gelten.

Da der Richter selbst Verhandlungen hatte, musste die Verhandlung daher unterbrochen werden und geht am Freitag weiter. Ich bin ja mal gespannt, was die Staatsanwältin dann noch für Ideen hat.