Arbeitsgericht Köln: Kein Anspruch auf Weihnachtsgeschenk

Dass das Arbeitsrecht eine Materie ist, in der es besonders oft zu skurrilen Auseinandersetzungen kommt, dürfte jedem Juristen bekannt sein. Dennoch sind auch erfahrene Juristen immer wieder überrascht, aus welchen Gründen sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer vor Gericht streiten.

Einen solchen Fall hat jetzt das Arbeitsgericht Köln entschieden. In einer Firma mit 100 Mitarbeitern und einer Tradition langweiliger Betriebsfeiern (etwas das vielen Unternehmen bekannt ist) hatte sich der Arbeitgeber entschieden, sich handfest bei den anwesenden 75 Mitarbeitern der Weihnachtsfeier zu bedanken: Mit einem iPad Mini für jeden Anwesenden, Kostenpunkt ca. 400 Euro (also knapp 30.000 Euro insgesamt). Das wird bei diesen sicher gut angekommen sein.

Schlecht angekommen ist dies bei einem kranken Arbeitnehmer, der deshalb nicht dabei war. Er befand sich ungleich behandelt und stufte das iPad als Teil der Vergütung (als Sachleistung) ein, die ihm auch hätte gezahlt werden müssen, obwohl er krank gewesen sei. Dies sah das Arbeitsgericht Köln anders und wies die Klage ab. Begründung: Ungleichbehandlung sei gerechtfertigt, da der Arbeitgeber ja die Betriebsfeier attraktiver gestalten wollte und die Anwesenden zur weiteren zukünftigen bzw. die Nichtanwesenden zur zukünftigen Teilnahme motivieren hat wollen.

Dass der Arbeitgeber anwesende Mitarbeiter auf einer Betriebsfeier besser behandeln dürfen muss, ist relativ eindeutig zu bejahen (ansonsten müsste er ja z.B. Nichtanwesenden auch Kleinigkeiten wie Speisen und Getränke zukommen lassen bzw. dem Wert nach auszahlen). Die Rechtfertigung der Ungleichbehandlung ergibt sich dabei aus der freien Entscheidung der Nichtanwesenden, der Betriebsfeier fern zu bleiben. Ob eine Ungleichbehandlung aber auf für die Arbeitnehmer gerechtfertigt ist, die zwar teilnehmen wollen, aber aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage sind, halte ich dagegen für fraglich.  Eine Entscheidung der Nichtteilnahme trifft der kranke Arbeitnehmer ja gerade nicht (freiwillig). Insofern wäre also darauf abzustelllen, ob er teilgenommen hätte, wenn er arbeitfähig gewesen wäre. Dies lässt sich natürlich nicht beweisen, aber zumindest aus den Umständen heraus beantworten: Hat er bisher regelmäßig teilgenommen? Hat er fest zugesagt, mglw. auch verbunden mit der Bereitschaft, organisatorische Verantwortung zu übernehmen? Oder hat man ihn sowieso nie auf Betriebsfeiern gesehen?

Was der Fall jedoch auch zeigt: Kleinigkeiten können schnell zu gerichtlichen Auseinandersetzungen führen, was das Betriebsklima nachhaltig vergiften kann. Nicht nur, dass der Kläger kein iPad bekommen hat, er muss jetzt auch noch Gerichts- und Anwaltskosten tragen und hat die Gefahr geschaffen, dass der Arbeitnehmer ihn in Zukunft negativer behandeln wird. Eine gütliche Einigung wäre für beide Seiten sicherlich besser gewesen und der Sache angemessen.

[ via Arbeitsrecht Chemnitz ]

EuGH: Bahn muss für Verspätungen bei höherer Gewalt zahlen

Mit einem heute verkündigten Urteil (Az. C-509/11) hat der EuGH entschieden, dass die Bahn auch für Verspätungen Entschädigungen zahlen muss, die auf sog. “höherer Gewalt” beruhen. “Höhere Gewalt” umfasst dabei alle Gründe, die außerhalb des Einflusses der Bahn stehen, wie Unwetter oder Streiks. Demnach haben Fahrgäste einen Anspruch, bis zu 50% des Fahrpreises erstattet zu bekommen, egal worauf die Verspätung beruht.

Die Entscheidung ist zu begrüßen, da der Schaden für die Fahrgäste ja unabhängig davon ob die Bahn Schuld hat oder nicht immer die selben Folgen hat. Im Flug-, Schiff- und Busverkehr gelten jedoch weiterhin andere Regelungen, so dass sich zeigen wird, ob die EuGH-Richter hier nicht eine Entscheidung getroffen haben, die die Bahn-Unternehmen Europas gegenüber den sonstigen Verkehrsbetreibern unzulässig benachteiligt.

Fall Mollath: Verfassungsbeschwerde erfolgreich

Auch wenn Gustl Mollath (endlich) die beantragte Wiederaufnahme bekommen hat, hat das Bundesverfassungsgericht dessen Verfassungsbeschwerde gegen die Beschlüsse des Landgerichts Bayreuth und des Oberlandesgerichts Bamberg aus dem Jahre 2011 stattgegeben. In diesen war die Fortdauer der Unterbringung angeordnet bzw. die Beschwerde hiergegen als unbegründet verworfen worden.

Die zuständige Kammer des 2. Senats rügt in ihrem Beschluss, dass das Landgericht sich mit den Gutachten zu wenig auseinander gesetzt habe und die Prognoseentscheidung faktisch diesen Gutachtern überlassen habe, obgleich es Aufgabe des Gerichts war, “unter Berücksichtigung weiterer Hinweise des Sachverständigen und sonstiger Umstände des vorliegenden Falles diese Einschätzungen gegeneinander ab[zu]wägen und eine eigenständige Prognoseentscheidung [zu] treffen”. Insbesondere hätten zu erwartende Straftaten konkret benannt werden müssen, sowie dargelegt werden müssen, wieso die Wahrscheinlichkeit der Begehung solcher Taten so hoch gewesen wäre und auf welchen Tatsachen diese Prognose beruht.

Komplett missfällt dem Verfassungsgericht, dass sowohl LG als auch OLG die Verhältnismäßigkeit der Fortdauer ausschließlich mit Hinweis auf die ihm zur Last gelegten Körperverletzungsdelikte begründet haben. Zu Recht weist das Gericht darauf hin, dass es sich um Taten gehandelt habe, die – selbst wenn sie so geschehen sind – vor über zehn Jahren waren und nur im Rahmen der Ehe mit Mollaths Ex-Frau passiert sind, von der er ja zwischenzeitlich geschieden und getrennt war. Eine Darlegung, wieso die Gefahr bestünde, dass er aktuell(!) solche Körperverletzungsdelikte begehen würde, haben beide Gerichte nicht erbracht. Damit fehle es “bereits an einer zureichenden Grundlage für die Abwägung zwischen den Sicherungsinteressen der Allgemeinheit und dem Freiheitsanspruch des Beschwerdeführers”, so das Verfassungsgericht weiter, so dass die Beschlüsse aufzuheben und an das OLG Bamberg nach § 95 II BVerfGG zurückzuverweisen gewesen sei.

Update (05.09.2013 – 11:38):

In ihrer bewährten Art, nur zu sehen, was ihr gefällt, hat die bayerische Justizministerin Beate Merk eine Pressemitteilung herausgeben lassen. Darin findet sich u. a. der “wunderbare” Satz:

Es ist wichtig, dass unser höchstes Gericht nun Klarheit geschaffen hat, welche Anforderungen an die Begründung von Entscheidungen über den lange währenden Freiheitsentzug eines Menschen gelten.

Das ist deshalb so pervers, denn das Verfassungsgericht hat mit seinem Beschluss nicht etwa neu erfunden, dass die Unterbringung verhältnismäßig sein muss. Sondern es hat – in sehr deutlicher Weise – gerügt, dass die betreffenden bayerischen Gerichte nicht über dieses Grundwissen verfügen. Also ist es sehr wohl eine “schallende Ohrfeige” für die Ministerin, wenn ihr aus Karlsruhe attestiert werden muss, dass sie Richter beschäftigt, die nichtmal die Grundlagen des Unterbringungsrechts beherrschen. Denn für deren Anstellung ist sie nunmal – bei aller Gewaltenteilung – zuständig!

 

BGH: Sammlermünzen sind kein “Geld” i.S.d. § 935 II BGB

Der §935 II BGB ist eine für Jura-Studenten manchmal gewählte Falle, wenn es um die Eigentumsübertragung abhanden gekommener Sachen geht. Nach § 935 I BGB ist ein gutgläubiger Erwerb vom Nichtberechtigen solcher Sachen ja grundsätzlich nicht möglich. Nach Absatz 2, den manch ein Student in der Eile gar nicht beachtet, gilt eine Ausnahme von dieser Regel für “Geld oder Inhaberpapiere” sowie Sachen aus Versteigerungen.

In meinem (alten) Palandt (67. Auflage 2008) steht dazu noch, dass es sich bei “Geld” um “umlauffähiges in- oder ausländisches Geld” handeln muss, das “objektiv als Zahlungsmittel geeignet” sei (bei § 935 Rn. 11); unerheblich sei dabei die entgegenstehende Zweckbestimmung des Veräußerers. Begründet wurde das mit einem Hinweis auf LG Würzburg, NJW 1988, 2191. Der BGH hat mit Urteil vom 14. 6. 2013 – V ZR 108/12 – jetzt entschieden, dass es nicht nur darauf ankommen kann, ob die Münzen – die ja alle einen Nennwert haben – theoretisch als Zahlungsmittel verwendet werden könnten, sondern ob eine solche Münze “[d]arüber hinaus […] zum Umlauf im öffentlichen Zahlungsverkehr bestimmt und geeignet ist”. Gerade Sammlermünzen “sind aber nach ihrer Gestaltung (unüblicher Nominalwert, besonderes Material, unübliche Prägung oder Herstellungsart) nicht für diese Funktion gedacht, sondern dienen als Anlage- oder Sammelobjekte”, so der BGH zu Recht. Begründet wird dies zusätzlich noch ausführlich mit Bezügen auf das deutsche MünzG und das österreichische ScheidemünzenG.

Interessant kann eine solche Konstellation auch für Studenten werden, indem man in eine Klausur ein solches Zusatzproblem einbaut, das sich für ausführliche Argumentation eignet.

(via haerlein.blog.de)

Faustschlag ins Gesicht von gefesselter Frau = 10 Monate auf Bewährung für Münchner Polizisten

Im Fall Teresa Z., bei dem ein Polizist einer gefesselten Frau einen Faustschlag ins Gesicht verpasst hatte, hat das Amtsgericht München heute das Urteil gefällt: 10 Monate auf Bewährung und 3000 Euro Geldstrafe. Wer nicht (mehr) weiß, um was es geht, den kann ich auf diesen alten Blogbeitrag verweisen.

Meine Meinung: Klar, Polizisten sind auch nur Menschen, sie können auch mal sauer werden, wenn sie angespuckt werden. Aber sie sind nunmal auch Repräsentanten des Staates, sie dürfen nach Recht und Gesetz  Gewalt ausüben, die anderen verboten ist. Also sind sie an einem höheren Standard zu messen als normale Straftäter. § 340 StGB bringt dies zum Ausdruck, in dem die Mindeststrafe für Körperverletzung im Amt bei 3 Monaten liegt, während bei § 223 StGB Geldstrafe möglich ist. 10 Monate sind am unteren Ende des Strafrahmens und sind wohl vor allem deshalb verhängt worden, weil ab 1 Jahr automatisch die Entfernung aus dem Polizeidienst folgt. Ob dies gerecht war, mag der Bürger zu Recht bezweifeln, vor allem da der betroffene Polizist bereits einmal aufgefallen war, als er einer Schwangeren den Kopf gegen ein Autodach gestoßen haben soll. Das Ermittlungsverfahren damals wurde jedoch eingestellt. Dennoch wird man sich fragen, ob es Sinn macht, eine Strafe zu wählen, die dessen Verbleib im Polizeidienst sichert. Es kann nämlich auch das Signal senden, dass solche Taten keine gravierenden Folgen haben und daher die Probleme von Korpsgeist und falsch verstandener Loyalität bei der Polizei noch verstärken.
Man wird zum Beispiel sehen müssen, ob der damalige Münchner Polizeipräsident – jetzt Landespolizeipräsident! – Wilhelm Schmidbauer sich für seine Äußerung entschuldigt, als er meinte, die Tat sei “konsequent” gewesen. Ich würde persönlich keine großen Hoffnungen darin hegen…

OLG Nürnberg ordnet Wiederaufnahme im Fall Gustl Mollath an

Wie die Süddeutsche Zeitung berichtet, hat das OLG Nürnberg die anderslautende Entscheidung des LG Regensburg aufgehoben und die Wiederaufnahme des Verfahrens im Fall Gustl Mollath angeordnet. Anders als die Regensburger Kollegen – und so wie viele Juristen (statt vieler sei hier nur auf die Detailkritik von Prof. Dr. Müller verwiesen) – sah das OLG die verwendete Urkunde sehr wohl als falsch an und somit einen Wiederaufnahmegrund nach § 359 Nr. 1 StPO als gegeben an.

Die Wiederaufnahme bedeutet zwar, dass Mollath sofort freigelassen werden muss, das Ende der Justizschlacht um diesen Fall ist das jedoch nicht. Nun muss das Verfahren, dass damals zu seiner Unterbringung geführt hat, wieder neu durchgeführt werden. Und da kann noch vieles passieren. Man kann also gespannt sein.

PS: Die bayerische Jusitzministerin Beate Merk ist natürlich derweil auf Twitter erfreut über die Entscheidung, hing doch der Fall wie ein Damoklesschwert über ihrem Kopf vor den anstehenden Landtagswahlen. Die bayerischen Wähler sollten jedoch nicht vergessen, wie viele Fehler sie gemacht hat, bevor sie den Wiederaufnahmeantrag angewiesen hat. Die Unterbringungsvorausstzungen und -bedingungen in Bayern sind nämlich das Werk der seit über 50 Jahren regierenden CSU-Mehrheit.

Update: Pressemitteilung des OLG Nürnberg zum Fall

Maßregeln: Auch LG-Richter müssen ihre Standardformulierungen hin und wieder überarbeiten

Mit Beschluss vom 19. 6. 2013 – 2 StR 118/13 hat der BGH ein Urteil des LG Aachen aufgehoben, in dem die LG-Richter die Maßregel nach § 64 StGB (Unterbringung in einer Entziehungsanstalt) angeordnet hatten, da diese “nicht von vornherein aussichtslos” erscheine. Leider für die LG-Richter findet sich diese Formulierung seit 2007 nicht mehr im zitierten § 64 S. 2 StGB, nachdem das Bundesverfassungsgericht dies bereits 1994 (vgl. BVerfGE 91, 1) für verfassungswidrig erklärt hatte. Vielmehr ist nunmehr “hinreichend konkrete Aussicht” erforderlich, dass die Maßregel eine Heilung bewirken oder zumindest eine Weile einen Rückfall vermeiden kann und zusammenhängende Taten dadurch verhindert werden. Der zweite Strafsenat hob das Urteil somit auf und verwies es zur erneuten Verhandlung zurück an eine andere Strafkammer des Landgerichts.

Fazit: Gerade auch als LG-Richter darf man sich nicht auf alte Standardformulieren verlassen, sondern muss bei jedem Urteil konkret im Einzelfall entscheiden. Das sollte zwar immer der Fall sein, aber leider neigen auch Richter gerne zur Bequemlichkeit. Leider hat der BGH jedoch auch selbst oft Bequemlichkeitslösungen gefördert und zugelassen. Dieser Beschluss stellt einen löblichen Gegensatz dar.

LG Osnabrück: Automatisiertes Verleiten zum Rückruf kann Betrug sein

Das LG Osnabrück hat mit Urteil vom 6. März 2013 (Az. 10 KLs 38/09, 140 Js 2/07, 10 KLs – 140 Js 2/07 – 38/09) entschieden, dass es als Betrug gem. § 263 I StGB strafbar sein kann, wenn man Handynutzer mit dem einzigen Ziel anruft, dass diese eine teure Rufnummer zurückrufen. Das Landgericht hatte im Jahre 2010 mit Beschluss noch nach § 204 StPO beschlossen, das Hauptverfahren nicht zu eröffnen, da es an der Täuschungshandlung i.S.d. § 263 StGB fehle. Das wurde vom OLG Oldenburg kurz danach auf Beschwerde der Staatsanwaltschaft wieder aufgehoben und die Klage vor dem Landgericht Osnabrück doch zugelassen.

Im Fall hatten die drei Angeklagten mehrere Server so programmiert, dass sie – unter Angabe einer teuren Mehrwertdienstenummer – massenweise Handys anklingeln, einmal Läuten lassen und danach wieder aufzulegen. Dabei haben Sie sich einer 0137-Nummer (bekannt aus Telefonvotings im Fernsehen) bedient, die im Display als +49137… erschien und dadurch die Angerufenen in den Glauben versetzen sollte, es handle sich um eine Nummer aus dem Vodafone-Netz (0173…). Die so kontaktierten Nutzer sollten die Nummer sehen und sich – glaubend es handle sich um eine valide Kontaktaufnahme – bemüßigt fühlen, dort zurückzurufen. Taten sie das, hörten sie nur eine (sinnlose) Bandansage. Die Kosten für das Telefonat erhielten z.T. die Angeklagten.

Das Landgericht, nun der Auffassung des OLG folgend, hat alle drei des Betrugs bzw. der Beihilfe zum Betrug nach § 263 StGB verurteilt. Das Anklingeln lassen, so das Landgericht, beinhalte die Erklärung “der Anrufer strebe über das Herstellen einer Telekommunikationsverbindung eine inhaltlich ernstgemeinte zwischenmenschliche Kommunikation an”. Wolle er dies nicht, so sei dies eine Täuschung im Rechtssinne. Damit sei auch der Irrtum erregt worden, dass die Anrufer mit den Angerufenen sprechen wollten und daher eines Rückrufs würdig seien. Der Rückruf sei vermögendsmindernd gewesen, da er entweder direkt zur Minderung des Guthabens (Pre-Paid) oder zur Entstehung von Ansprüchen (Vertrag) geführt habe.

Das Urteil ist einerseits natürlich nachvollziehbar. Wer sowas macht, sollte – so der wird sich der gute Bürger denken – bestraft werden. Rechtlich sehe ich das etwas komplizierter: Das Landgericht hat bereits 2010 ja erkannt, dass das Verhalten – so “unverschämt” dies sein mag – wohl nicht strafbar ist. Das würde ich auch so sehen. Jemand, der von einer ihm unbekannten Nummer angerufen wird, der glaubt nicht automatisch, dass es ein sinnvoller Anruf war; im Gegenteil, viele Menschen werden bei ihnen unbekannten Nummern – oftmals zu Recht – davon ausgehen, dass der Anruf von einer Person stammt, mit der sie nicht telefonieren wollen und somit auch nicht zurückrufen. Entscheidet man sich zum Rückruf, so tut man dies im Bewusstsein, dass man eben gerade nicht weiß, wer am anderen Ende der Leitung ist. Und die Kosten für ein Telefonat kann und muss jeder selbst für sich berechnen bevor er telefoniert. Die Entscheidung stellt daher m.M.n. eine fatale Erweiterung des § 263 StGB dar. Der Anrufer kann – wenn er eine ihm unbekannte Person kontaktiert – nie wissen, was der Angerufene glaubt, wenn er die Nummer sieht, und liefe daher immer die Gefahr, den objektiven Tatbestand des Betrugs zu erfüllen, wenn der Angerufene – im Glauben ein Rückruf sei erwünscht – auf seine Kosten zurückruft. Dies allein über den fehlenden Vorsatz im subjektiven Tatbestand zu lösen ist dogmatisch unbefriedigend.

Wenn sich der Verteidiger mit aus dem Saal schleicht…

Der BGH hat mit Beschluss vom 10. April 2013 (Az. 2 StR 19/13) ein Urteil des LG Kassel mitsamt der Feststellungen wegen Verstoß gegen § 140 I Nr. 1 StPO aufgehoben (§ 338 Nr. 5 StPO). Das Landgericht hatte dem Angeklagten mit Beschluss gestattet, den Sitzungssaal gem. § 231c StPO zu verlassen, solange ein Zeuge allein zu einem Mitangeklagten befragt würde. Nicht umfasst hat der Beschluss den Verteidiger des Beschwerdeführers. Dies sei auch nicht aus dem Beschluss bzgl. des Beschwerdeführers zu ersehen, so der BGH.

Gleichwohl ging der Verteidiger mit seinem Mandanten in diesem Zeitraum aus dem Saal. Die weitere Befragung des Zeugen fand daher auch ohne ihn statt, obwohl ein Fall der notwendigen Verteidigung nach § 140 I Nr. 1 StPO vorlag. Allein dies genügt schon für den Erfolg der Rüge, da ja mit § 338 Nr. 5 StPO fingiert wird, dass in diesem Fall das Urteil immer fehlerhaft ist.

Da der Zeuge lästigerweise auch noch was zur Tat des Beschwerdeführers ausgesagt hatte in der Zeit, konnte der BGH den Fehler des Landgerichts auch nicht über die Konstruktion retten, dass es “denkgesetzlich ausgeschlossen” sei, dass das Urteil auf der Abwesenheit beruht (vgl. BGH NStZ 2011, 233; BGH StV 2011, 650).

Hier hat das Landgericht erst vergessen, den Beschluss auf den Verteidiger zu erweitern (was nach § 231c StPO ja möglich gewesen wäre) und dann auch noch die Verhandlung fortgesetzt, obwohl der Zeuge ja doch etwas für den Beschwerdeführer relevantes ausgesagt hat – was das Gericht auch noch strafschärfend ins Urteil aufgenommen hat. Es zeigt sich also mal wieder, wie wichtig es ist, die Verfahrensvorschriften zu beachten und dass der Verteidiger doch lieber im Saal bleiben sollte, selbst wenn der eigene Mandant dazu nicht verpflichtet ist.

BGH: Fischer setzt sich gegen Tolksdorf durch

Ein fast kindlicher Streit vor dem höchsten deutschen Strafgericht ist (hoffentlich) endlich zu Ende. Das Bundeskabinett will Fischer nun für den Job vorschlagen, auf den er sich vor mehr als zwei Jahren beworben hat: Vorsitzender des 2. Strafsenats.

Kurze Rekapitulation:
Thomas Fischer, der Verfasser und Herausgeber des wohl am meisten genutzten Kommentars zum StGB, wurde damals – nachdem er zuvor jahrelang beste Beurteilungen erhalten hatte – vom Präsidenten des BGH, Klaus Tolksdorf, schlecht beurteilt und dann in der Folge übergangen, als der Vorsitzendenposten im 2. Strafsenat – dem er angehörte – frei wurde. Dagegen klagte Fischer vor dem VG Karlsruhe, mit der Folge, dass dieser Vorsitz nicht besetzt werden konnte. Als zwei andere freiwerde Posten in anderen Strafsenaten mit anderen Richtern besetzt werden sollten, klagte Fischer auch hiergegen, so dass am Ende drei von fünf Senaten keinen Vorsitzenden hatten. Obwohl genug Posten frei gewesen wären und Fischer daher ein Vorsitz angeboten hätte werden können, beharrte Tolksdorf auf seiner Position und übernahm lieber selbst einen dieser Posten anstatt Fischer vorzuschlagen.

Anders als Herrn Tolksdorf, wurde es der Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) wohl zu viel des Streits und sie hat sich mit Fischer geeinigt. Jetzt können hoffentlich schnell die anderen Vorsitzendenposten besetzt werden. Vor allem der Vorsitz des 1. Strafsenats (zuständig für Bayern und Baden-Württemberg) sollte rasch – aber mit bedacht – besetzt werden. Allein schon um möglichst schnell die Fehlentwicklungen der letzten Jahre in dessen Rechtsprechung zu korrigieren.

PS: Fischer ist dabei nicht der einzige Richter, der Probleme mit dem Führungsstil Tolksdorfs hat: Im SPIEGEL 8/2003 gibt es dazu einen interessanten Artikel mit dem bezeichnenden Titel “Der Gutsherr”