OLG München: Mithaftung des Vordermanns bei Auffahrunfall wegen zu geringen Sicherheitsabstand zum Vordervordermann

Zeichen 273 der StVO: SicherheitsDer Titel klingt kompliziert, der dem Schlussurteil vom 14.08.2014 – 10 U 1189/14 des OLG München (bisher nur bei beck-online unter BeckRS 2014, 16350 veröffentlicht) zugrundeliegenden Sachverhalt ist aber an sich recht einfach:

Auf dem Mittleren Ring in München, einer über die Stadtgrenzen hinaus bekannten Staufalle, war mal wieder stockender Verkehr. Der Beklagte fuhr mit 30-40 km/h seinem Vordermann mit einem Abstand von ca. 3 m hinterher, hielt also “leicht” weniger Sicherheitsabstand als eigentlich vorgeschrieben (15-20 m bei der Faustformel “halber Tacho” bzw. 8-11m bei der Faustformel “Strecke, die in 1 s zurückgelegt wird”). Sein Vordermann musste bremsen, weshalb der Beklagte eine Vollbremsung vollzog. Der Kläger fuhr ihm daraufhin auf.

Das LG München I hat dem Kläger mit Endurteil vom 26.02.2014 – Az. 19 O 23421/13 – die volle Haftung wegen der Anscheinsvermutung, dass der Auffahrende grds. allein Schuld trägt, auferlegt (vgl. BGH NZV 2007, 354)

Dies hat das OLG München so nicht stehen lassen wollen und dem Beklagten eine Mitschuld von 20 % zugesprochen, weil der Beklagte nur deshalb voll bremsen musste, weil er seinerseits den Sicherheitsabstand zu seinem Vordermann nicht eingehalten hat. Hätte er dies getan, so die Feststellungen des Gerichts, so wäre die Vollbremsung nicht erforderlich gewesen.

Auch in diesem Fall zeigt es sich, wie wichtig es ist, den Sicherheitsabstand einzuhalten. Dass viele Leute hierzu nicht in der Lage sind, erstaunt mich jeden Tag wieder aufs Neue.

BGH: (Noch) keine Helmpflicht durch die Hintertür

Der BGH hat mit Urteil vom heutigen Tage (Az. VI ZR 281/13Pressemitteilung) entschieden, dass eine innerorts normal fahrende Radfahrerin kein Mitverschulden trifft, wenn sie aufgrund fehlenden Helms Kopfverletzungen erleidet. Das Gericht hob damit eine anderslautende Entscheidung des OLG Schleswig vom 05.06.2013 – Az. 7 U 11/12 – auf, in der der Klägerin ein Mitverschulden von 20% angerechnet wurde.

Der BGH führt hierzu in seiner Pressemitteilung aus:

Zwar kann einem Geschädigten auch ohne einen Verstoß gegen Vorschriften haftungsrechtlich ein Mitverschulden anzulasten sein, wenn er diejenige Sorgfalt außer acht lässt, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens anzuwenden pflegt. Dies wäre hier zu bejahen, wenn das Tragen von Schutzhelmen zur Unfallzeit nach allgemeinem Verkehrsbewusstsein zum eigenen Schutz erforderlich und zumutbar gewesen wäre. Ein solches Verkehrsbewusstsein hat es jedoch zum Zeitpunkt des Unfalls der Klägerin noch nicht gegeben. So trugen nach repräsentativen Verkehrsbeobachtungen der Bundesanstalt für Straßenwesen im Jahr 2011 innerorts nur elf Prozent der Fahrradfahrer einen Schutzhelm.

Wie man der Formulierung des BGH entnehmen kann, ist man beim höchsten deutschen Zivilgericht nicht der Meinung, dass die Annahme einer Helmpflicht trotz Fehlen einer gesetzlichen Regelung, quasi “durch die Hintertür”, grundsätzlich unmöglich ist. Vielmehr kommt es für den BGH auf das allgemeine Verkehrsbewusstsein an.

Sollte also in einigen Jahren die überwiegende Mehrheit der Radfahrer einen Helm – auch ohne Pflicht – tragen, so wird ein Mitverschulden derjenigen, die keinen Helm tragen, möglicherweise anders zu bewerten sein.