“Früher, als die Gummistiefel noch aus Holz waren, da war alles besser”

So ähnlich muss der Sachbearbeiter der Haftpflichtversicherung gedacht haben, als er unter Bezugnahme auf eine Entscheidung von 1989 das Schmerzensgeld mit 6.500,00 € berechnet hat. Die von uns benannten Entscheidungen, die allesamt (weitaus) aktueller waren, hat er geflissentlich ignoriert, wohl weil er gesehen hat, dass die Gerichte für ähnliche Schäden mittlerweile weitaus höhere Schmerzensgeldbeträge für angemessen erachten, im vorliegenden Fall ca. das Dreifache des Betrags, den die Versicherung berechnet hat.

(Für diesem Fall passend hat das OLG Naumburg im vor Kurzem erwähnten Urteil vom 10.07.2014 – Az. 2 U 101/13 – gerade erst ausdrücklich geurteilt, dass die Auskehrung eines Drittels des zustehenden Schmerzensgelds die Zufügung weiteren Leides darstellt)

In einem weiteren Akt der Genialität(?) hat der Sachbearbeiter dann auch noch die Fahrtkosten für Besuche im Krankenhaus gestrichen, weil ja bereits ein Elternteil dauerthaft dort war und unsere minderjährige Mandantin somit gegen die Schadensminderungspflicht verstoßen habe, wenn sie auch vom anderen Elternteil und ihren Geschwistern besucht werden wollte.

OLG Naumburg: Verzögert der Haftpflichtversicherer die Regulierung ungebührlich, so ist das Schmerzensgeld erheblich zu erhöhen

Mit Urteil vom 10.07.2014 – Az. 2 U 101/13 – hat das OLG Naumburg (bisher nur bei beck-online unter BeckRS 2014, 16163 veröffentlicht) bestätigt, dass auch das Regulierungsverhalten des Haftpflichtversicherers bei der Bemessung des Schmerzensgeld eine (entscheidende) Rolle spielt.

Im entschiedenen Fall ergab sich eine (Teil-)Schmerzensgeldsumme von 150.000 €, die erheblich über dem eigentlich auszuurteilenden Betrag lag. In Fortführung der Rechtsprechung anderer OLGs hat das OLG Naumburg die Verzögerungstaktik der Haftpflichtversicherung bei der Regulierung als ganz erheblich das Schmerzensgeld erhöhendes Kriterium gewertet.

So das Gericht in seiner Urteilsbegründung:

e) aa) Das Schmerzensgeld ist aufgrund der vorgenannten Umstände mit 150.000,00 Euro zu bemessen. Eine Vergleichbarkeit mit dem vom Landgericht angeführten Urteil des Oberlandesgerichts Nürnberg (Urteil vom 25.04.1997, VersR 1998, 732) ist gegeben. Aber auch eine Vergleichbarkeit mit dem Sachverhalt, welcher der von der Beklagten selbst vorgelegten Entscheidung des Oberlandesgerichts Brandenburg (Urteil vom 23.06.2011, 12 U 263/08, Schaden-Praxis 2011, 361) zugrunde gelegen hat, ist anzunehmen. Allerdings ist, worauf die Klägerin zutreffend hinweist, in dieser Entscheidung allein deshalb auf ein Schmerzensgeld von nur 75.000,00 Euro erkannt worden, weil sich die dortige Geschädigte ein hälftiges Mitverschulden hat anrechnen lassen müssen.

bb) Zwar ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin, anders als in den von den Oberlandesgerichten Nürnberg und Brandenburg entschiedenen Rechtsstreiten, in denen eine 34-jährige Frau bzw. ein 38-jähriger Mann geschädigt worden waren, und auch anders als in der von der Beklagten zitierten Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm, bei der es um den Unfall eines 16-Jährigen ging (Urteil vom 25.09.2002, 13 U 62/02, DAR 2003, 118), im Unfallzeitpunkt bereits 66 Jahre alt war. In diesem Zusammenhang hat der Bundesgerichtshof es als sachgerechtes Kriterium benannt, dass ein verhältnismäßig alter Geschädigter (dort 73 Jahre alt) keinen so langen Leidensweg vor sich habe wie ein jüngerer Mensch und dass deshalb bei ihm im Verhältnis zu einem jungen Verletzten ein geringerer Schmerzensgeldbetrag angemessen ist (Urteil vom 15.01.1991, BGH VI ZR 163/90, NJW 1991, 1544).

cc) Dies führt im Ergebnis aber deshalb zu keiner anderen Bemessung des Schmerzensgeldes, weil aufgrund des zögerlichen Regulierungsverhaltens der Beklagten ein erheblicher Schmerzensgeldaufschlag gerechtfertigt ist, der den vorgenannten, wegen des Alters der Klägerin vorzunehmenden „Abzug“ vollständig ausgleicht (vgl. zu diesem Schmerzensgeld erhöhenden Kriterium: OLG Nürnberg, Urteil vom 22.12.2006, 5 U 1921/06; OLG Naumburg, Urteil vom 28.11.2001, 1 U 161/99 sowie Urteil vom 15.10.2007, 1 U 46/07, jeweils zitiert nach juris; OLG Köln, Urteil vom 09.08.2013, 19 U 137/09, NJW-Spezial 2014, 75).

[…]

Die Beklagte kann sich nicht auf – an sich zulässiges – Verteidigungsvorbringen berufen. Soweit sie auch in diesem Zusammenhang die Verletzungen und deren Folgen in Abrede gestellt, kann dem, wie ausgeführt, keine Bedeutung beigemessen werden. Es stand vielmehr fest, dass die Klägerin bei dem Unfall erheblich verletzt worden ist. Diese Verletzungen machten schon für sich genommen die Zahlung eines nicht unerheblichen Schmerzensgelds erkennbar erforderlich. Dass die Beklagte dennoch lediglich ca. ein Drittel des der Klägerin zustehenden Schmerzensgeldes ausgekehrt hat, stellte für diese eine Manifestierung der bereits erlittenen Schmerzen, aber auch die Zufügung weiteren Leides dar. Denn aufgrund des Nichterhalts des ihr erkennbar zustehenden Schmerzensgeldes ist es ihr über viele Jahre hinweg nicht möglich gewesen, sich die Annehmlichkeiten zu verschaffen, die die von ihr erlittenen Schmerzen zumindest teilweise hätten ausgleichen können. Darüber hinaus hat es der Klägerin bereits nach der Lebenserfahrung weiteres Leid verschafft, dass sie sich aufgrund der von der Beklagten vorgenommenen Verteidigungsstrategie, die von einem Bestreiten auch offensichtlich von der Klägerin wahrheitsgemäß vorgetragener Tatsachen, wie etwa der eingetretenen Verletzungen, geprägt gewesen ist, dem Anschein einer Simulantin ausgesetzt gesehen hat, der es allein um die Erlangung eines hohen – unberechtigten – Schmerzensgeldes gehe.

Angesichts der klaren Linie der OLGs in den letzten Jahren wird zu hoffen sein, dass die Haftpflichtversicherer in Zukunft – um höhere Schmerzensgeldzahlungen zu vermeiden – nicht mehr versuchen werden, eindeutig gegebene Ansprüche mit Händen und Füßen abzuwehren.

OLG München: Mithaftung des Vordermanns bei Auffahrunfall wegen zu geringen Sicherheitsabstand zum Vordervordermann

Zeichen 273 der StVO: SicherheitsDer Titel klingt kompliziert, der dem Schlussurteil vom 14.08.2014 – 10 U 1189/14 des OLG München (bisher nur bei beck-online unter BeckRS 2014, 16350 veröffentlicht) zugrundeliegenden Sachverhalt ist aber an sich recht einfach:

Auf dem Mittleren Ring in München, einer über die Stadtgrenzen hinaus bekannten Staufalle, war mal wieder stockender Verkehr. Der Beklagte fuhr mit 30-40 km/h seinem Vordermann mit einem Abstand von ca. 3 m hinterher, hielt also “leicht” weniger Sicherheitsabstand als eigentlich vorgeschrieben (15-20 m bei der Faustformel “halber Tacho” bzw. 8-11m bei der Faustformel “Strecke, die in 1 s zurückgelegt wird”). Sein Vordermann musste bremsen, weshalb der Beklagte eine Vollbremsung vollzog. Der Kläger fuhr ihm daraufhin auf.

Das LG München I hat dem Kläger mit Endurteil vom 26.02.2014 – Az. 19 O 23421/13 – die volle Haftung wegen der Anscheinsvermutung, dass der Auffahrende grds. allein Schuld trägt, auferlegt (vgl. BGH NZV 2007, 354)

Dies hat das OLG München so nicht stehen lassen wollen und dem Beklagten eine Mitschuld von 20 % zugesprochen, weil der Beklagte nur deshalb voll bremsen musste, weil er seinerseits den Sicherheitsabstand zu seinem Vordermann nicht eingehalten hat. Hätte er dies getan, so die Feststellungen des Gerichts, so wäre die Vollbremsung nicht erforderlich gewesen.

Auch in diesem Fall zeigt es sich, wie wichtig es ist, den Sicherheitsabstand einzuhalten. Dass viele Leute hierzu nicht in der Lage sind, erstaunt mich jeden Tag wieder aufs Neue.