m. E.

Häufig liest man Schriftsätze, Verfügungen, Anklageschriften etc., die eine gesunde Auseinandersetzung mit gegenteiligen (Rechts-)Ansichten schmerzlich vermissen lassen. Auch Kollegen, die ihren Mandanten die Erfolgsaussichten eines Vorgehens – diplomatisch gesagt – beschönigt mitteilen, sind keine Ausnahme. Bescheidenheit und das Eingeständnis, dass man nicht alles weiß, vermisst man da schmerzlich.

Aber auch zu viel Bescheidenheit ist Gift für die Argumentation, vor allem, wenn man ein Gericht und/oder einen Gegner überzeugen möchte. In einem aktuellen Fall vertritt die Gegenseite ein Kollege, der seine Bescheidenheit wohl immer offen zur Schau stellen möchte.

Wenn man jedoch Sätze wie

Der Vortrag der Gegenseite […] ändert m. E. nichts an der Sach- und Rechtslage

oder

[…] da die Klageerweiterung im Berufungsverfahren […] m. E. unzulässig ist.

liest, dann denke ich mir als Leser zumindest, dass der Verfasser nicht so ganz von seiner Argumentation überzeugt scheint, wenn er sie mit “m. E.” garnieren muss. Damit gesteht er ja eigentlich ein, dass andere Ansichten auch existieren und vorzugswürdiger sein könnten.

Ganz besonders schlimm ist ein solcher Vortrag, wenn er sich gegen Ausführungen mit Kommentar- und Rechtsprechungsbezug richtet. Denn die eigene Meinung eines Parteivertreters wird das Gericht kaum davon überzeugen, von etablierten Kommentaren oder höchstrichterlicher Rechtsprechung abzuweichen.

Aber das ist natürlich nur m. E. 😉

Ein Gedanke zu „m. E.

  1. “m.E.” als Kürzel für “meines Erachtens” gehört m.E. nur in die Auseinandersetzung mit abstrakten Rechtsansichten. Z.B.: “M.E. ist die Auffassung des OLG Köln, Az. …., vorzuziehen weil ….”. In die konkrete Berurteilung des Sachverhalts gehört so etwas nicht.

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