“Der ist auf Termin”

Seit über einem Jahr streitet sich die Mandantschaft mit einem Energieversorgungsunternehmen über diverse Forderungen, oftmals weit überzogen und unbegründet, die mit Sperrungsdrohungen versehen werden. Man schreibt sich hin und her, wenn man denn mal einen Mitarbeiter findet, der Ahnung von der Sache hat, beantragt eine einstweilige Verfügung, woraufhin die Gegenseite sich bereit erklärt, nicht zu sperren, etc. pp. Bis man irgendwann zu einem Punkt kommt, dass der Mandant vielleicht tatsächlich einen (geringen) Betrag schuldet. Die Gegenseite erklärt ihre Vergleichsbereitschaft, wir bieten einen Vergleich an.

Die linke Hand (die nicht weiß, was die rechte Hand tut) beauftragt derweil eine Kanzlei mit der Klage auf Duldung der Stromunterbrechung, wobei vorgetragen wird, dass die Forderungen unbestritten gewesen seien.

Auf meinen dezenten Hinweis, dass der Kollege doch bitte mal seine Mandantschaft um Informationen bitten sollte, was in der Sache alles gelaufen ist (hier immerhin ein Leitz-Ordner) und dass man diesseits natürlich sich auf die erklärte Vergleichsbereitschaft verlassen hat, sichert man mir entsprechende Nachforschung zu und stimmt einer Klageerwiderungsfristverlängerung zu.

Das war Mitte Oktober. Einmal hab ich den Kollegen noch erwischt, da hat er mir gesagt, dass seine Mandantschaft nicht reagiere, er sich aber kümmern und Bescheid geben werde. Was er leider nicht gemacht hat.

Immer wenn ich jetzt anrufe und nachfrage, kommt ein Standardsatz:

“Der ist auf Termin.”

Der Kollege ist offensichtlich vielbeschäftigt, was ja schön für ihn ist. Aber das meine Bitten um Rückruf und Mitteilung, ob einer weiteren Fristverlängerung zugestimmt würde, ungehört verhallen, ist leider weniger schön…

Update [25.11.2014, 19:55 Uhr]:

Zur Ehrenrettung des Kollegens hat er heute nachmittag doch noch zurückgerufen. Um mitzuteilen, dass seine Mandantschaft sich immer noch nicht meldet. Auch das kenn ich aus eigener Erfahrung…

XING und Impressum – noch keine klare Linie der OLGs

Zur vom Kollegen Winter losgetretenen Abmahnwelle hat der Kollege Dr. Ulbricht erfreuliches zu berichten:

Der Kollege Winter hat die vom Kollegen eingereichte negative Feststellungsklage in zweiter Instanz vor dem OLG Stuttgart anerkannt, nachdem der  Senat ihm deutlich gemacht hat, dass er bei einem “XING”-Profil nicht von einem eigenständigen Telemedium i. S. d. § 5 TMG ausgeht. Damit stellt es sich gegen die vom OLG München in meinem Verfahren vertretene Rechtsauffassung, die der des LG München I im Urteil vom 03.06.2014 – Az. 33 O 4149/14 – entspricht.

Die schlechte Nachricht:

Das OLG wird seine Rechtsauffassung nicht in ein Urteil gießen, so dass zukünftigen Opfern von abmahnungswilligen Kollegen nicht mit einer obergerichtlichen eindeutigen Entscheidung zu helfen ist. Es verbleibt dabei aus meiner Sicht bei dem Rat, sich bei “XING” ein Impressum zuzulegen, auch wenn dieses nicht erforderlich ist, damit man nicht derjenige ist, den der Kollege Winter möglicherweise einmal erfolgreich in Anspruch nimmt.

OLG München: Schriftformklausel in AGB von Onlineportalen unwirksam

Wie der Kollege Stadler berichtet, hat das OLG München mit Urteil vom 09.10.2014 – Az. 29 U 857/14 – die Entscheidung des LG München I (Urteil vom 30.01.2014 – Az. 12 O 18571/13) als Vorinstanz bestätigt, wonach ein Online-Portal in seinen AGB nicht die Schriftform für eine Kündigung verlangen darf, weil das Gesetz in §§ 126 ff. BGB Alternativen zulässt und dieses Erfordernis somit gegen § 309 Nr. 13 BGB verstößt.

Anders, als noch das LG, hat das OLG seine Entscheidung – m. E. zu Unrecht – nicht auch noch auf § 307 Abs. 1 BGB gestützt. Die Vorinstanz hatte nämlich zu Recht festgestellt, dass eine solche Klausel – wenn der Vertrag im Übrigen online in Textform geschlossen und abgewickelt wird – den Verbraucher unzulässig benachteiligt, weil nur für eine ganz bestimmte – für das Online-Portal nachteilige – Erklärung die Schriftform verlangt wird. Der Verbraucher darf in einem solchen Fall nämlich davon ausgehen, dass jegliche Erklärungen in Textform abgegeben werden können.

Anfängerfehler: Pauschales Bestreiten im Zivilprozess

Der weitere Vortrag der Beklagten wird, soweit nicht ausdrücklich zugestanden, bestritten.

So gelesen in einem Schriftsatz eines Fachanwalts für Strafrecht, der sich wohl mit zivilrechtlichen Mandaten etwas hinzuverdienen will. Leider hat der Kollege dabei übersehen, dass die h. M. ein solches Bestreiten für unbeachtlich erachtet (vgl. BGH NJW 2010, 1357; Zöller-Greger, § 138 Rn. 10a).

Ich will aber jetzt keine Kollegenschelte für Fehler betreiben, die jedem Referendar eigentlich im ersten Monat ausgetrieben werden sollten. Sondern vielmehr darauf hinweisen, wie gefährlich es ist, sich zu solch pauschalen Floskeln verleiten zu lassen. Wenn selbst erfahrene Kollegen es nicht vermeiden können, dann gilt dies erst recht für junge Kollegen, die gerade mit dem Beruf anfangen.

Die Konsequenzen dieses Fehlers sind nämlich potentiell desaströs:

Alles, wozu nichts gesagt wurde, gilt nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden. Bemerkt man diesen Fehler nicht rechtzeitig, besteht die Gefahr, mit ausführlichen Gegenvortrag nach § 296 ZPO präkludiert zu sein. Und weil die Präklusion sich in aller Regel in die zweite Instanz überträgt (§ 531 Abs. 2 ZPO), kann man gleich nach einer entsprechenden Entscheidung des Gerichts seine Berufshaftpflichtversicherung anrufen.

Filesharing: Immer mehr nutzerfreundliche Urteile zur Nachforschungspflicht

Wie die Kollegin Lachenmann berichtet, hat das AG Ulm mit Urteil vom 20.8.2014 – Az. 5 C 596/14 – entschieden, dass für die sekundäre Darlegungslast genügt, dass der Anschlussinhaber – solange ihm keine Anhaltspunkte für illegales Handeln bekannt sind – darlegt, dass andere volljährige Mitbewohner Zugriff auf den Internetanschluss hatten.

Damit reiht sich das Urteil in eine Reihe aktueller Entscheidungen (vgl. LG Hannover, Urteil vom 15.08.2014 – Az. 18 S 13/14; AG München, Urteil vom 21.05.2014 – Az. 158 C 19376/13; AG Bielefeld, Urteil vom 04.09.2014 – Az. 42 C 45/14) ein, wonach auch nach dem Urteil des BGH vom 08.01.2014 – Az. I ZR 169/12 – BearShare – und der dort erfundenen Pflicht des Anschlussinhabers, “im Rahmen des Zumutbaren auch […] Nachforschungen” anzustellen, die Nachforschungspflicht sich – da keine Pflicht zur anlasslosen Überwachung der Familienangehörigen und Mitbewohner besteht – nur darauf beschränken kann, zu eruieren und mitzuteilen, wer im fraglichen Zeitraum Zugriff auf den Internetanschluss hatte.

Dies ist auch sachgerecht, da Abmahnungen und Klagen wegen (angeblichen) Filesharing in der Regel erst nach Monaten und Jahren erfolgen, also zu einem Zeitpunkt, zu dem eine genaue Rekonstruktion der Nutzung des Internetanschlusses nicht mehr möglich ist.

Lebensfremd oder Verweigerungshaltung pur?

Aus dem Schreiben eines großes deutschen Versicherers nach einem Brandereignis im Imbiss unserer Mandantschaft:

Hinsichtlich der Lampen und Spiegel für das Damen WC, das Herren WC und den Vorraum bitten wir Sie um Nachweis, dass dort im Vorfeld bereits Spiegel und Lampen angebracht waren und bitten höflich um die Übersendung der Anschaffungsbelege.

Scheinbar müssen die armen Angestellten dieser Versicherung im Dunkeln und ohne Spiegel ihre Notdurft verrichten…

OLG Hamm: “Benutzung auf eigene Gefahr” entbindet nicht von der Verkehrssicherungspflicht

Der Kollege Burhoff weist in seinem Blog auf eine Entscheidung des OLG Hamm, Urteil vom 29.08.2014 – 9 U 78/13 – hin, wonach auch das Anbringen eines Schildes mit dem Hinweis “Benutzung auf eigene Gefahr” nicht allein ausreicht, um sich nach Eintritt eines Schadensfalles von der Haftung zu befreien.

Im entschiedenen Fall war ein Radfahrer auf einem gut ausgebauten, zur Benutzung freigegebenen Weg aufgrund einer nicht ausreichend erkennbaren Abbruchkante einer Bootstreppe zu Fall gekommen und hatte daraufhin den Eigentümer der Treppe in Anspruch nehmen wollen.

Das Gericht hat dem Beklagten mit folgender Erwägung die Haftungsfreizeichnung durch das Schild “Benutzung auf eigene Gefahr” versagt:

“Seiner Verkehrssicherungspflicht hat der Beklagte nicht dadurch genügt, dass im Verlauf des Weges durch ein von der Stadt N oder dem Wasserschifffahrtsamt errichtetes Schild darauf hingewiesen wird, dass die Benutzung des Weges auf eigene Gefahr erfolge. Unabhängig davon, dass die Benutzung des Weges durch die Stadt N gerade gewollt ist, ist dieser Hinweis in seiner Pauschalität angesichts des – soweit überschaubar – ansonsten guten Zustandes des Weges nicht geeignet, den Benutzer für die konkrete Gefahr im Bereich der Bootstreppe zu sensibilisieren und vor ihr zu warnen.

Der Beklagte hätte daher die Gefahrenstelle beseitigen, bzw. auf deren Beseitigung hinwirken müssen, zumindest aber in ausreichendem Abstand vor der Gefahrenstelle auf diese besonders hinweisen müssen.”

Allerdings blieb der Radfahrer auf 50% der Kosten sitzen (§ 254 BGB), weil er zu schnell unterwegs war und bei angemessener Geschwindigkeit die Gefahr rechtzeitig bemerkt hätte.

Den Gerichten auf die Finger zu schauen…

..diese Aufgabe hat sich der Blog “Watch The Court” des Berliner Professors Dr. Martin Schwab gemacht. Schwab sammelt dort Entscheidungen von Gerichten, die er als “krasse Fehlurteile” klassifiziert. Bisher beschränkt sich die Sammlung auf Zivilurteile, weitere Sachgebiete sollen folgen, wenn sich andere Lehrstühle beteiligen. Es wird spannend sein zu sehen, inwieweit ein solches Projekt einen Eindruck auf die Gerichte machen kann.

AllgM? Was ist denn das?

Der Jurist kennt bekanntlich verschiedene Stufen der Einigkeit untereinander. Es gibt “str.”, wenn die Lösung eines Problems strittig ist. “h. L.” und “h. Rspr.” deuten darauf hin, dass sich Lehre und Rechtsprechung nicht einig sind, wie was zu lösen ist. “a. A.” (= andere Ansicht) deutet darauf hin, dass nicht unbeachtlicher Widerspruch zu einer bestimmten Meinung existiert.

Sind sich die Mehrzahl der Juristen einig, dann ist die Lösung “h. M.” (oder herrschende Meinung). Ist die Opposition besonders gering, kann eine Lösung sogar “ganz h. M.” sein. Der heilige Gral der Einigkeit ist aber die “allgM”, die allgemeine Meinung. Damit können sich nur Lösungen schmücken, bei denen es keinerlei ernsthafte andere Meinung gibt. Angesichts der notorischen Zerstrittenheit der Juristen (Stichwort “Zwei Juristen, drei Meinungen”) dürfte nachvollziehbar sein, dass solche Meinungen rar gesät sind.

Eine solche Ansicht betrifft § 130 BGB. Wer eine Willenserklärung unter Abwesenden abgibt (vulgo: z. B. einen Brief verschickt), der trägt die Beweislast dafür, dass der andere sie auch bekommen hat. Einen “Anscheinsbeweis” dafür, dass ein verschickter Brief auch angekommen ist, existiert – angesichts der Tatsache, dass die Post gern mal was verliert – nach einhelliger Auffassung daher nicht (Palandt, § 130 Rn. 21; Staudinger, § 130 Rn. 108; Münchner Kommentar zum BGB, § 130 Rn. 46 etc.).

Anders haben es wohl ein paar Kollegen in einer aktuell vorliegenden Sache gesehen:

Nach obergerichtlicher Rechtsprechung (vgl. z.B. LG München I Beschluß vom 21.9.98 zu AZ 13 T 16124/98; LG Hamburg VersR 1992,85; OLG Naumburg 1999,597) ist angesichts der hohen Wahrscheinlichkeit eines Zugangs (z.B. Verlustquote für 1999 nach Auskunft der Deutschen Post: 0,0008% – d.h. von 125000 Briefsendungen geht statistisch nur eine Sendung verloren) von einem Anscheinsbeweis zugunsten der Klägerin auszugehen ist.

Dass das für den Absender von Briefen, der deren Zugang behauptet, keine tolle Situation ist, liegt auf der Hand. Dass manche Kollegen dann aber versuchen, dennoch einen Anscheinsbeweis zu basteln, zeugt schon fast von Verzweiflungstat.

PS: Eine Entscheidung “13 T 16124/98” des LG München I konnte ich bei besten Willen nicht finden. Und Zitierungen von Jahr und Seite ohne Angabe der Zeitschrift sind vorsichtig ausgedrückt “wenig hilfreich”.

LG Aachen: Gastwirt muss wissen, dass Speisefett sich selbst entzünden kann

Feuer WarnungMit Urteil vom 31.07.2014 – Az. 12 O 525/13 – hatte das LG Aachen einen Fall zu entscheiden, bei dem eine Gaststätte abgebrannt war aufgrund von Speisefetten. Das an sich ist sicher noch nicht spektakulär und die Haftungsfrage in der Regel recht einfach zu entscheiden.

Das besondere an diesem Fall war, dass sich das Fett nicht etwa beim Kochen oder Braten entzündet hat, sondern die fettgetränkten Reinigungstücher – verbunden mit dem Reinigungsmittel – über nacht Feuer gefangen haben. Und weil der Gastwirt diesen Müll nicht – wie berufsgenossenschaftlich geregelt – in einem Metalleimer mit Deckel, sondern in einem Plastikeimer direkt unter dem Sicherungskasten aufbewahrt hat, verursachte das Brandereignis dann auch einen Schaden von über 20.000 € – konservativ geschätzt.

Die Beklagten hatten sich außergerichtlich geweigert, die Haftung anzuerkennen, so dass das Gericht entscheiden musste.

Begründung des Gerichts:

Die Gefahr einer Selbstentzündung von Fetten muss jedoch jedem Betreiber eines Küchen- oder Grillbetriebes bekannt sein (so schon BGH r+s 1988, 296). Er muss daher alle zumutbaren Vorkehrungen zur Abwendung dieser Gefahren treffen. Daran ändert es auch nichts, dass nach Angaben des sachverständigen Zeugen P. bei vielen Betreibern von Küchen die Gefahr von Selbstentzündungen von Putztücher, an denen sich Fettreste befinden, nicht bekannt ist bzw. sie sich der Gefahr nicht hinreichend bewusst sind. Der Betreiber eines Küchen- oder Imbissbetriebes hat sich vor Aufnahme des Betriebs über die typischen Gefahren, die mit einem solchen Betrieb einhergehen, ggf. bei fachkundigen Stellen, zu erkundigen und die erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Dabei hat er auch insbesondere die Unfallverhütungsvorschriften zu beachten […]

Dabei ist das Gericht nicht von einem Anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. den berufsgenossenschaftlichen Regelungen ausgegangen, sondern hat die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht nach § 823 Abs. 1 BGB direkt durch die Missachtung dieser Unfallverhütungsvorschriften bejaht.

Fazit:
Wem Verkehrssicherungspflichten obliegen, der muss auch die Gefahren kennen, die mit dem Betrieb des Gewerbes einhergehen. Die von den Berufsgenossenschaften und anderen Stellen regelmäßig veröffentlichen Informationen gehören also zur Pflichtlektüre jedes Gewerbetreibenden.