OLG Hamburg: Filesharing: Darlegung der Mitbenutzungsmöglichkeit durch Dritte genügt

Das OLG Hamburg hat sich – soweit mir bekannt – als erstes OLG im Beschluss vom 2.2.2015 – Az. 5 W 47/13 – im Rahmen einer sofortigen Beschwerde wegen einer Entscheidung nach § 91a ZPO mit der Frage der Darlegungs- und Beweislast  nach der BearShare-Entscheidung des BGH (Urteil vom 08.01.2014 – Az. I ZR 169/12) auseinander gesetzt und der von den Abmahnern – gerne mit freundlicher Unterstützung insbesondere des AG München und LG München I – geltend gemachten überzogenen Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast des Anschlussinhabers, dass er eine Rechtsverletzung nicht zu vertreten habe, eine Absage erteilt.

So führt es zur Darlegungs- und Beweislast u. a. aus:

Zu verlangen, dass ein Anschlussinhaber stundengenau darüber Auskunft gibt und glaubhaft macht, wer zu welchen Zeitpunkten den in Rede stehenden Rechner tatsächlich benutzt hat, würde eine Überspannung der Darlegungs- und Glaubhaftmachungslast bedeuten. Dies würde nämlich in der Praxis dazu führen, dass die tatsächliche Vermutung einer täterschaftlichen Verantwortung, die sich alleine auf die Tatsache stützt, dass von einem bestimmten Internetzugang aus Urheberrechtsverletzungen begangen wurden, faktisch unwiderlegbar wäre. Denn es widerspricht jeder Lebenserfahrung, dass ein Anschlussinhaber einen derart alltäglichen Vorgang wie die Nutzung eines Computers mit Internetzugang bereits nach einigen wenigen Tagen noch präzise genug erinnern kann, um eine derartige Auskunft geben, geschweige denn an Eides statt versichern zu können. Es wäre auch lebensfremd, von jedem Anschlussinhaber zu erwarten, dass er dokumentiert, wer von seinen Familienangehörigen wann seinen Internetzugang benutzt hat.

und weiter zur Störerhaftung:

Eine anlasslose zumutbare Prüf- und Kontrollpflicht eines Anschlussinhabers gegenüber seinem Ehegatten oder volljährigen Familienmitgliedern besteht nach der neueren und mittlerweile herrschenden Rechtsprechung nicht, durch die zur Zeit der angegriffenen Entscheidung zum Teil noch umstrittene Rechtsfragen geklärt wurden. Danach ist nunmehr auch geklärt, dass keine Pflicht des Anschlussinhabers besteht, derartige Personen ohne konkrete Anhaltspunkte über die Rechtswidrigkeit der Teilnahme an Tauschbörsen aufzuklären und ihnen die rechtswidrige Nutzung entsprechender Programme zu untersagen […]

Da nun auch die OLGs auf die Rechtsprechung des BGH einzuschwenken scheinen, bleibt zu hoffen, dass auch die letzten Amts- und Landsgerichtsrichter der Republik, die glauben, sie müssten die Rechtsprechung möglichst restriktiv zu Lasten der Abgemahnten auslegen, ihre Auffassungen überdenken und aufgeben.

[ via: Offene Netze und Recht ]

EuGH: Blutspendeverbot für homosexuelle Männer bedarf Einzelfallprüfung im jeweiligen Mitgliedsstaat

Mit Urteil vom 29.04.2015 – Az. C-528/13 – hat der EuGH entschieden, dass ein Blutspendeverbot für Männer, die sexuellen Kontakt zu anderen Männern hatten, nur dann gerechtfertigt sein kann, wenn etwaige Erreger nicht sicher nach der Spende festgestellt werden können, das Risiko der Übertragbarkeit durch Mitglieder dieser Gruppe statistisch gesehen in dem jeweiligen Mitgliedsstaat signifkant höher ist und nicht etwa durch Fragebögen und Untersuchung sichergestellt werden kann, dass kein riskanter Lebenswandel vorliegt.

Dies bedeutet, dass insbesondere bei homosexuellen Paaren, die in einer langjährigen festen Beziehung leben, die nationalen Behörden künftig besonders sorgfältig begründen müssen, wieso hier ein höheres Risiko besteht als z. B. bei Männern, die ungeschützten Sex mit weiblichen Sexualpartnern haben.

Um es mit der Sprache des Gerichts zu sagen:

Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Nr. 2.1 des Anhangs III der Richtlinie 2004/33 dahin auszulegen ist, dass das in dieser Bestimmung enthaltene Kriterium für einen Ausschluss von der Blutspende, nämlich das Sexualverhalten, den Fall erfasst, dass ein Mitgliedstaat im Hinblick auf die in diesem herrschende Situation eine dauerhafte Kontraindikation bei Blutspenden für Männer vorsieht, die sexuelle Beziehungen zu Männern hatten, wenn aufgrund der derzeitigen medizinischen, wissenschaftlichen und epidemiologischen Erkenntnisse und Daten feststeht, dass ein solches Sexualverhalten für diese Personen ein hohes Übertragungsrisiko für durch Blut übertragbare schwere Infektionskrankheiten birgt und dass es unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit keine wirksamen Techniken zum Nachweis dieser Infektionskrankheiten oder mangels solcher Techniken weniger belastende Methoden als eine solche Kontraindikation gibt, um ein hohes Gesundheitsschutzniveau der Empfänger sicherzustellen. Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu beurteilen, ob diese Voraussetzungen in dem betreffenden Mitgliedstaat erfüllt sind.

Ob und inwieweit dieses Urteil die nationale Praxis beeinflussen wird, wird sich zeigen. Es wäre zu begrüßen, wenn eine Gruppe von Menschen nicht allein wegen ihrer Sexualität pauschal daran gehindert wird, anderen Leuten zu helfen.

BGH: Behauptung “TÜV neu” + fehlende Verkehrssicherheit = Sofortiger Rücktritt

Der u. a. für Kaufrecht zuständige VIII. Zivilsenat des BGH hat mit Urteil vom 15.04.2015 – Az. VIII ZR 80/14 – entschieden, dass die Käuferin eines Gebrauchtwagens, bei dem vertragsgemäß am Kauftag eine Hauptuntersuchung (HU) durchgeführt worden und die HU-Plakette angebracht wurde, bei einem schweren Mangel (hier: massive, erkennbare Korrosion des Motors) ohne Fristsetzung vom Kaufvertrag nach § 440 S. 1 3. Alt. BGB zurücktreten kann, weil sie zu Recht jedes Vertrauen in Zuverlässigkeit und Fachkompetenz des Verkäufers verloren hatte und ihr daher die Nacherfüllung durch diesen nicht zumutbar sei.

Die auch erklärte Anfechtung wegen arglistiger Täuschung (§ 123 I BGB) sah der BGH mangels ausreichender Feststellungen des Erstgerichts nicht als erfolgreich an.

Quelle: Pressemitteilung Nr. 58/2015 vom 15.04.2015

Hinweis:
Wieso der BGH die Anfechtung nicht bejahen wollte, ist nicht nachvollziehbar. M. E. wird mit “TÜV neu” (konkludent) zugesichert, dass sich das Auto am Kauftag in einem Zustand befunden hat, der eine Zuteilung der HU-Plakette erlaubt. Zumindest aber enthält diese Angabe die Erklärung, dass der Verkäufer das Fahrzeug untersucht hat oder untersuchen hat lassen und dabei keine Mängel festgestellt wurden, die einer Erteilung der HU-Plakette entgegengestanden haben.
Die Entscheidung zeigt wieder einmal, dass es in der Praxis wichtig ist, eine Anfechtung immer mit einer Kündigung / einem Rücktritt zu kombinieren, um sich nicht eine Anspruchsgrundlage zu verbauen.

BGH: Wer unrenoviert mietet, muss auch nicht renovieren (u. a.)

Wie der BGH in einer Pressemittelung ausführt, hat der VIII. Zivilsenat in einer Reihe von Punkten seine frühere Rechtsprechung zur Reparaturpflicht des Mieters aufgegeben. Konkret hat der BGH heute drei Entscheidungen verkündet:

Mit Urteil vom 18.03.2015 – Az.  VIII ZR 185/14 – hat der BGH entschieden, dass die formularmäßige Abwälzung der Schönheitsreparaturen auf den Mieter unwirksam war, weil der Mieter eine unrenovierte Wohnung übernommen hatte. Auch die von ihm durchgeführten Anfangsrenovierungen (Streichen von 3 Zimmern) im Gegenzug zum Nachlass einer halben Monatsmiete führen nicht zu einer anderen Bewertung, da dies keinen angemessenen Ausgleich darstelle.

In dem durch Urteil vom 18.03.2015 – Az. VIII ZR 242/13 – entschiedenen Fall hat das Gericht die Sache an die Berufungsinstanz zurückverwiesen, weil keine Feststellungen dazu getroffen worden seien, ob “die Mieträume im Zeitpunkt der Überlassung den Gesamteindruck einer renovierten Wohnung vermitteln”. Es wird aber auch darauf hingewiesen, dass die Frage, ob die Wohnung bei Vertragsbeginn unrenoviert war, vom Mieter zu beweisen sei.

In dem selben Fall hat der Senat zusätzlich entschieden, dass auch keine anteilige Kostentragungspflicht nach einer Quotenabgeltungsklausel besteht, weil eine “unangemessene Benachteiligung des Mieters darin liegt, dass der auf ihn entfallende Kostenanteil nicht verlässlich ermittelt werden kann und für ihn bei Abschluss des Mietvertrags nicht klar und verständlich ist, welche Belastung gegebenenfalls auf ihn zukommt” und eine solche Regelung daher nach § 307 I BGB unwirksam sei.

Fazit:

Der Volltext der Entscheidungen wird abzuwarten sein. Sollte der BGH wirklich Quotenabgeltungsklauseln grds. für unwirksam erachten, wie es in der Pressemitteilung durchklingt, so werden einige Vermieter eine böse Überraschung erleben.

Filesharing: LG Potsdam gegen Überspannung der sekundären Darlegungslast

Mit Urteil vom 08.01.2015 – Az. 2 O 252/14 – hat das LG Potsdam eine Filesharing-Klage im typischen Familienszenario (Anschlussinhaberin bewohnt Wohnung mit Ehemann und minderjährigen Kindern) abgewiesen, weil die Klägerin u. a. deren Täterschaft nicht nachweisen konnte (Volltext bei JurPC).

Die Posse fing schon damit an, dass die Klägerin gar nicht darlegen konnte, dass sie überhaupt existiert und der Klägervertreter damit auch nicht, dass er ordnungsgemäß bevollmächtigt wurde. Das hatte die Beklagte nämlich bestritten.

Das Gericht, dass die Klage dafür schon als unzulässig hätte abweisen können, beschäftigte sich aber noch mit der Begründetheit und fand auch hier deutliche Worte, wieso keine Haftung nach § 97 II UrhG vorliegt:

Zur Vermutung der Täterschaft:

Gemäß der Bearshare-Entscheidung des Bundesgerichtshofs besteht zunächst eine durch den Anschlussinhaber zu widerlegende tatsächliche Vermutung seiner Alleinnutzung, die bereits dann widerlegt ist, wenn weitere Personen freien Zugriff auf den Anschluss hatten. […]

Eine Veränderung der Beweislast ist mit dieser sekundären Darlegungslast nicht verbunden, vielmehr ergibt diese sich ausschließlich darauf, dass der Vortrag von Tatsachen geboten ist, die für die Beklagtenseite leicht vortragbar sind, während sie sich der sphäre der beweisbelasteten Klägerseite entziehen (BGH NJW 2014, 2360).

Die tatsächliche Vermutung der Alleinnutzung des Anschlusses durch die Beklagte ist bereits dadurch widerlegt, dass gemäß der ihrer Angaben der Ehemann […] sowie der […] Sohn […] im Haushalt der Beklagten wohnen und freien Zugriff auf den Internetzugang hatten.

Zur Darlegung der konkreten Nutzung:

[…] schon die abstrakte Zugriffsmöglichkeit lässt unabhängig von der tatsächlichen Nutzung zu einem bestimmten Zeitpunkt die Grundlage des vom BGH angenommenen Erfahrungssatzes, dass der Anschlussinhaber als typischer Alleinnutzer anzusehen sei, entfallen.

Zu Nachforschungspflichten:

Der Umfang der sekundären Darlegungslast hat sich daher auf diejenigen Informationen zu beschränken, die in der Sphäre des Anschlussinhabers zugänglich sind und zumutbar vorgetragen werden können; keinesfalls dürfen überspannte Anforderungen an dieser Stelle im Ergebnis zu einer Beweislastverschiebung führen […]

Weitergehender Vortrag, insbesondere dazu, welche Personen zu den Zeitpunkten der behaupteten Rechtsverletzungen den Anschluss tatsächlich genutzt haben, ist hingegen im Rahmen der sekundären Darlegungslast nicht geboten. Im Hinblick auf die Alltäglichkeit der Computernutzung und die üblicherweise fehlende Buchführung hierzu handelt es sich hierbei nicht um Umstände, die üblicherweise in der Sphäre des Anschlussinhabers zur Verfügung stehen, weswegen Darlegungen hierzu nicht gefordert werden können. […]

Weitergehende Aufklärungspflichten, insbesondere bezüglich einer nachträglichen Feststellung der Person des Täters, treffen den Anschlussinhaber jedenfalls im familiären Umfeld nicht.

Damit reiht sich das LG Potsdam mit guter Argumentation in die Reihe der Gerichte ein, die die Auswüchse bei der sekundären Darlegungslast zu Recht als mit der BearShare-Entscheidung des BGH für beendet erachten. Allein das AG München und LG München I scheinen sich noch zu wehren, sich dieser Rechtsprechung anzuschließen.

via law blog

Mietzins hat man zu haben – auch wenn man Sozialhilfe beantragt hat

So kann man das Urteil des BGH vom heutigen Tage – Az. VIII ZR 175/14 – zusammenfassen. Wie der Pressemitteilung zu entnehmen ist, sieht der BGH es als unproblematisch an, wenn einem Mieter wegen Nichtzahlung nach § 543 II 2 Nr. 3 BGB gekündigt wird, selbst wenn dieser sich rechtzeitig um die Übernahme der Miete durch einen Dritten – hier das Sozialamt – bemüht hat, dieser aber die Zahlung bis dahin noch nicht bewilligt hat und dadurch eine Verzögerung der Mietzahlung eintritt.

§ 543 II 2 Nr. 3 BGB sei, so der BGH, ein gesetzlich normierter Fall, in dem zugunsten des Vermieters die Abwägung der Unzumutbarkeit nach § 543 I BGB schon typisiert worden ist. Der Mieter sei durch die Vorschrift des § 569 III Nr. 2 BGB hinreichend geschützt; erfüllt der Mieter innerhalb von zwei Jahren seine Verpflichtungen in einem solchen Maße nicht, dass der Vermieter kündigen dürfe, so machen auch besondere Umstände, insbesondere fehlendes Verschulden, die Kündigung nicht unwirksam. Auch der Mieter habe “nach dem Prinzip der einer Geldschuld zugrunde liegenden unbeschränkten Vermögenshaftung (“Geld hat man zu haben”) ohne Rücksicht auf ein Verschulden für seine finanzielle Leistungsfähigkeit einzustehen”.

Kommentar:

Die Entscheidung des BGH mag kaltherzig klingen, sie liegt aber auf der Linie dessen, was der Gesetzgeber durch die Einführung des § 569 III Nr. 2 BGB erreichen wollte: Vermieter sind nicht dafür zuständig, Wohnraum Leuten zur Verfügung zu stellen, die ihre Miete nicht zahlen (können), sondern der Sozialstaat. Verpflichtet sich die Behörde, die Mietrückstände zu übernehmen oder zahlt der Mieter nach, so führt dies nach dem Willen des Gesetzgebers nur einmal in einem 2-Jahres-Zeitraum dazu, dass die Kündigung unwirksam wird. Gerade weil der Gesetzgeber dies ausdrücklich so geregelt hat, wäre es verfehlt, bei einer wiederholten Nichtzahlung innerhalb dieses Zeitraums diese Intention durch den Umweg über § 543 I BGB zu revidieren.

Auch wer es als Roller benutzt, führt ein Fahrrad

fahrrad-verbot

Das hat der BayVGH mit Urteil vom 17.11.2014 – Az. 11 ZB 14.1755 – entschieden und damit den Antrag auf Zulassung eines Radlers abgewiesen, der erfolglos vor dem VG Ansbach auf Wiedererteilung der Fahrerlaubnis ohne Vorlage eines MPU-Gutachtens geklagt hatte, weil er in der ursprünglichen Verkehrskontrolle zwar auf dem Fahrrad betrunken saß, aber nicht getreten, sondern wie bei einem Roller mit den Füßen am Boden entlang gestrampelt hatte.

Der BayVGH entschied, dass auch dieses Verhalten ein Führen eines Fahrrads darstelle, da, egal wie der Antrieb zustande kommt, das Fahrrad auf jeden Fall noch gelenkt werden müsse. Und nur darauf kommt es an.

Zulässiges Verteidigungsverhalten führt zur Unterbringung

Mit Beschluss vom 16. Dezember 2014 – Az. 1 StR 515/14 – hat der BGH entschieden, dass zulässiges Verteidigungsverhalten – wie das Leugnen der Tatbegehung – zwar weder hangbegründend noch als Anknüpfungspunkt für die Gefährlichkeit gewertet werden darf, jedoch ein solches Verhalten indirekt im Rahmen der Ermessensentscheidung des § 66 II, III 2 StGB a. F. Berücksichtigung finden darf.

Dies hat zur Folge, dass das Gericht Sicherheitsverwahrung deshalb anordnen darf, wenn eine Therapie dadurch unmöglich ist, weil der Täter – der die Tat leugnet – keinen “echten” Therapiewillen und keine Einsicht in die Taten zeigt.

Auch wenn der BGH es anders darstellt, wird hier dennoch das zulässige Leugnen der Tat gegen den Täter verwandt. Denn natürlich kann der Täter, der die Tat leugnet – oder gar nicht begangen hat -, keinen echten Therapiewillen zeigen, insbesondere also auch nicht seine Tat einsehen und bereuen. Da die Sicherungsverwahrung auch vielfach einer Freiheitsstrafe ähnlich durchgeführt wird, erfolgt im Ergebnis eine zusätzliche Bestrafung durch das zulässige Verteidigungsverhalten. Das ist rechtsstaatlich nicht vertretbar.

BGH: Rauchen am Balkon kann (möglicherweise) teilweise untersagt werden

rauchverbot vielleicht

Wie der BGH heute in einer Pressemitteilung schreibt, hat man den Rechtsstreit zweier Mieter gegen ihren rauchenden Nachbarn (Vorinstanzen: AG Rathenow, Urteil vom 6. September 2013 – Az. 4 C 300/13 und LG Potsdam, Urteil vom 12. März 2014 – Az. 1 S 31/14) mit Urteil vom 16.01.2015 – Az. V ZR 110/14 – an das Berufungsgericht, welches die Klage abgewiesen hatte, zurückverwiesen, da zumindest die theoretische Möglichkeit besteht, dass Zigarettenqualm auf dem Balkon nicht die ganze Zeit geduldet werden muss.

Entscheidend sei, so der BGH, ob die nicht nur “mit dem Tabakrauch verbundenen Beeinträchtigungen nur unwesentlich sind”. In diesem Fall kann es geboten sein, trotz des Anspruchs des rauchenden Mieters auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, Zeiten frei zu halten, in denen die Nachbarn durch das Rauchen nicht gestört werden. Selbst wenn nur eine unwesentliche (und damit nach §§ 1004, 906 I 1 a. E. BGB hinzunehmende) Geruchsbelästigung vorliegt, könnten Abwehransprüche bestehen, wenn gesundheitliche Gefahren drohen.

Die Sache wurde zurückverwiesen, damit das Landgericht Feststellungen treffen kann, “ob der Rauch auf dem Balkon der Kläger als störend wahrnehmbar ist oder – wenn das zu verneinen sein sollte – ob im konkreten Fall von dem Tabakrauch gesundheitliche Gefahren ausgehen, wie die Kläger unter Hinweis auf eine Feinstaubmessung behaupten”.

Mieter sollten sich also nicht zu früh über dieses Urteil freuen: Den rauchenden Nachbarn kann man nur dann (teilweise) Einhalt gebieten, wenn die nicht unwesentliche Beeinträchtigung bzw. gesundheitlichen Gefahr im konkreten Einzelfall nachgewiesen ist.

BVerfG: Bevorzugung von Unternehmen bei Erbschaftssteuer in ihrer jetzigen Form verfassungswidrig

Wie das BVerfG heute entschieden hat (Pressemitteilung), sind §§ 13a, 13b und 19 Abs. 1 ErbStG wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG verfassungswidrig, bleiben jedoch bis 30.06.2016 anwendbar. Der Gesetzgeber hat bis dahin Zeit, eine Neuregelung zu treffen.

Die Gründe der Entscheidung fasst das Gericht in seiner Pressemitteilung kurz und knapp wie folgt zusammen:

Zwar liegt es im Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers, kleine und mittlere Unternehmen, die in personaler Verantwortung geführt werden, zur Sicherung ihres Bestands und zur Erhaltung der Arbeitsplätze steuerlich zu begünstigen. Die Privilegierung betrieblichen Vermögens ist jedoch unverhältnismäßig, soweit sie über den Bereich kleiner und mittlerer Unternehmen hinausgreift, ohne eine Bedürfnisprüfung vorzusehen. Ebenfalls unverhältnismäßig sind die Freistellung von Betrieben mit bis zu 20 Beschäftigten von der Einhaltung einer Mindestlohnsumme und die Verschonung betrieblichen Vermögens mit einem Verwaltungsvermögensanteil bis zu 50 %. §§ 13a und 13b ErbStG sind auch insoweit verfassungswidrig, als sie Gestaltungen zulassen, die zu nicht zu rechtfertigenden Ungleichbehandlungen führen.

Damit hat das Gericht grundsätzlich bejaht, dass die Erbschaftssteuer für Unternehmenserben anders gestaltet werden kann, wenn hierfür Gründe des Allgemeinwohls (wie Erhalt von Arbeitsplätzen) sprechen. Die bisherigen pauschalen Ausnahmen ohne Bedarfsprüfung im Einzelfall hat das Gericht – zu Recht – als verfassungswidrig eingestuft, weil sie Unternehmenserben im Zweifel bevorzugen, ohne dass diese Bevorzugung tatsächlich der Allgemeinheit nutzt. Es wird zu sehen sein, ob und wie der Gesetzgeber die Erbschaftssteuer verfassungskonform ausgestalten kann.