AllgM? Was ist denn das?

Der Jurist kennt bekanntlich verschiedene Stufen der Einigkeit untereinander. Es gibt “str.”, wenn die Lösung eines Problems strittig ist. “h. L.” und “h. Rspr.” deuten darauf hin, dass sich Lehre und Rechtsprechung nicht einig sind, wie was zu lösen ist. “a. A.” (= andere Ansicht) deutet darauf hin, dass nicht unbeachtlicher Widerspruch zu einer bestimmten Meinung existiert.

Sind sich die Mehrzahl der Juristen einig, dann ist die Lösung “h. M.” (oder herrschende Meinung). Ist die Opposition besonders gering, kann eine Lösung sogar “ganz h. M.” sein. Der heilige Gral der Einigkeit ist aber die “allgM”, die allgemeine Meinung. Damit können sich nur Lösungen schmücken, bei denen es keinerlei ernsthafte andere Meinung gibt. Angesichts der notorischen Zerstrittenheit der Juristen (Stichwort “Zwei Juristen, drei Meinungen”) dürfte nachvollziehbar sein, dass solche Meinungen rar gesät sind.

Eine solche Ansicht betrifft § 130 BGB. Wer eine Willenserklärung unter Abwesenden abgibt (vulgo: z. B. einen Brief verschickt), der trägt die Beweislast dafür, dass der andere sie auch bekommen hat. Einen “Anscheinsbeweis” dafür, dass ein verschickter Brief auch angekommen ist, existiert – angesichts der Tatsache, dass die Post gern mal was verliert – nach einhelliger Auffassung daher nicht (Palandt, § 130 Rn. 21; Staudinger, § 130 Rn. 108; Münchner Kommentar zum BGB, § 130 Rn. 46 etc.).

Anders haben es wohl ein paar Kollegen in einer aktuell vorliegenden Sache gesehen:

Nach obergerichtlicher Rechtsprechung (vgl. z.B. LG München I Beschluß vom 21.9.98 zu AZ 13 T 16124/98; LG Hamburg VersR 1992,85; OLG Naumburg 1999,597) ist angesichts der hohen Wahrscheinlichkeit eines Zugangs (z.B. Verlustquote für 1999 nach Auskunft der Deutschen Post: 0,0008% – d.h. von 125000 Briefsendungen geht statistisch nur eine Sendung verloren) von einem Anscheinsbeweis zugunsten der Klägerin auszugehen ist.

Dass das für den Absender von Briefen, der deren Zugang behauptet, keine tolle Situation ist, liegt auf der Hand. Dass manche Kollegen dann aber versuchen, dennoch einen Anscheinsbeweis zu basteln, zeugt schon fast von Verzweiflungstat.

PS: Eine Entscheidung “13 T 16124/98” des LG München I konnte ich bei besten Willen nicht finden. Und Zitierungen von Jahr und Seite ohne Angabe der Zeitschrift sind vorsichtig ausgedrückt “wenig hilfreich”.