Rätsel I: Die “fehlende” Aktivlegitimation

Der Kollege Burhoff veröffentlicht in seinem Blog regelmäßig sog. “Freitagsrätsel”. Davon habe ich mich etwas inspirieren lassen und will mal probieren, auch in regelmäßigen Abständen, wenn auch nicht wöchentlich, Rätsel oder Fragen zu posten, die mir in der täglichen Praxis begegnen.

Den Anfang macht ein Zitat aus dem Schriftsatz eines Kollegen:

Die Aktivlegitimation der Klägerin wird dergestalt bestritten, dass die Klägerin selbst nicht prozessfähig ist. Hierfür bedarf es einer Vertretung. Eine solche Vertretung ist seitens der Klagepartei nicht vorgegeben.

Bei der Klägerin handelt es sich um eine juristische Person. Durch wen sie vertreten wird, ergibt sich tatsächlich nicht aus der Klage, aber eindeutig aus dem Gesetz. Der Vertreter existiert auch, was dem Kollegen definitiv bekannt ist.

Die Frage lautet somit: Hat dieses Bestreiten der Aktivlegitimation Aussicht auf Erfolg?

Antworten in den Kommentaren bitte. Die Lösung dann im Laufe der Woche.

BGH: Eigenbedarf der GbR möglich / Eigenbedarfskündigungen nicht mehr unwirksam bei Verletzung der Anbietpflicht

Der BGH hat mit Urteil vom 14.12.2016 – Az. VIII ZR 232/15 – zu zwei praxisrelevanten mietrechtlichen Fragen Stellung genommen und seine Rechtsprechung teils bestätigt teils revidiert (Pressemitteilung, Volltext liegt noch nicht vor).

Bestätigt hat er, dass auch eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) eine Kündigung wegen Eigenbedarfs aussprechen kann, wenn einer der Gesellschafter oder dessen Familie die Wohnung benötigen. Dies war bisher umstritten((Siehe Nachweise bei Schmidt-Futterer12Blank, § 573 Rn. 49)). Der BGH vertritt die Auffassung, dass eine GbR nur eine Vermietergemeinschaft darstellt und ja auch bei Vermietermehrheit nach bisherigen Recht eine Eigenbedarfskündigung unproblematisch sei, wenn nur bei einem Vermieter ein Eigenbedarfsgrund vorliegt. Dabei übersieht der BGH, dass – anders als bei einer GbR mit möglichen unbekannten oder wechselnden Mitgliedern – der Mieter sich bei einer Vermietermehrheit konkret auf die Vertragspartner einstellen kann.

Eine der Gegenansichten, die auch die Vorinstanz vertreten hatte, konnte auch mit guten Gründen damit argumentieren, dass damit dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet wird. Mit der Entscheidung des BGH dürfte es in Zukunft noch wichtiger sein, vorgetäuschten Eigenbedarf zu erkennen und entsprechend zu handeln.

Ein Paukenschlag ist dagegen die zweite Hälfte der Entscheidung. Der BGH kippt, ohne erkennbaren Anlass und wohl zur Überraschung vieler Beobachter((Nichtmal der BGH hatte dieses Problem in seiner Pressemitteilung vor Ergehen des Urteils thematisiert)), die Folgen einer Verletzung der Anbietpflicht des Vermieters. Nach bisheriger h. M.((Nachweise bei Schmidt-Futterer12Blank, § 573 Rn. 119)) war eine Eigenbedarfskündigung unwirksam, wenn der Vermieter im selben Objekt oder Komplex eine andere Wohnung frei hatte und diese dem Mieter nicht angeboten hat. Damit sollte erreicht werden, dass der Vermieter gezwungen wird, die Folgen der Kündigung für den Mieter so milde wie möglich zu machen.

Nun meint der BGH, dass die Verletzung der Anbietpflicht zwar Schadensersatz nach § 241 II BGB zur Folge habe, die Kündigung hieran nicht wegen Rechtsmissbrauch (§ 242 BGB) scheitern dürfe.

Unangetastet bleibt wohl (vorerst) das Kündigungsverbot bei freistehender gleichwertiger Alternativwohnung. Der Vermieter muss also zwar nicht zwingend eine freie Alternativwohnung anbieten, genügt die Alternative jedoch, um seinen Bedarf zu decken, darf er weiterhin nicht kündigen. Insoweit bleibt der Vermieter auch beweispflichtig.

Was der BGH – zumindest laut Pressemitteilung – nicht ausdrücklich entschieden hat, ist, ob der Vermieter nach § 242 BGB verpflichtet werden kann und muss, die freie Wohnung den Mietern anzubieten zu einem üblichen Mietpreis. Eine solche Lösung ist mit der geänderten Rechtsprechung des BGH in Einklang zu bringen ohne die Mieter über Gebühr schutzlos zu stellen. In diesem Sinne muss Schadensersatz nach §§ 280, 241 II BGB auch die Mehrkosten einer neuen Wohnung umfassen, wenn die freie Wohnung günstiger gewesen wäre.

Die Änderung der Rechtsprechung kommt überraschend und führt zu einer deutlichen Schwächung der Mieter. Nach Jahren mieterfreundlicher Urteile haben Vermieter nun einen Grund zur Freude; in der Praxis dürften sich die Streitigkeiten nun lediglich auf die Ebene der Beweisbarkeit bzw. der Schadensersatzansprüche verlagern.

Bitte umgehend zurückrufen!

Manchmal muss es schnell gehen, weshalb es gut ist, dass es auch in Zeiten von E-Mail und WhatsApp noch Telefone gibt, um direkt mit anderen Menschen zu sprechen.

Ein Kollege schickt gestern, 15.00 Uhr, einen Schriftsatz an die Kanzlei, ob man sich denn nicht gütlich einigen könnte im Hinblick auf den heutigen Verhandlungstermin. Ein Rückruf sei erbeten, am besten gleich. Unsere Rechtsanwaltsfachangestellte ruft umgehend zurück und teilt mit, dass ich nicht da bin (hab ja noch andere Gerichtstermine), ich mich aber am nächsten Morgen melden würde.

Was ich auch tue, frisch um 08.15 Uhr. Leider arbeiten die Kollegen erst ab 09.00 Uhr. Gut, denk ich mir, ruf ich halt um 09.15 Uhr nochmals an. Vergebens.

„Der Kollege ist leider schon bei Gericht, Termin um 10.00 Uhr. Ob er wieder kommt, weiß ich nicht, nächster Termin nämlich um 11.00 Uhr“ teilt mir seine Rechtsanwaltsfachangestellte mit, nachdem sie mich zwei Minuten in der Warteschleife hat hängen lassen. Warum der Kollege dann nicht selbst zum Hörer gegriffen hat, wenn er wusste, dass er danach nicht mehr da sein wird, konnte sie mir auch nicht erklären.

Muss er halt doch zum Gericht fahren. Für ihn ist das ein doppelt so weiter Weg wie für mich. “Selbst schuld” denk ich mir und freue mich, dann vielleicht eine Stunde früher heim zu kommen nach dem Termin. Hat auch was Gutes. 🙂

PS: Für die jungen Leser: Das Bild zeigt ein Telefon. Kein Scherz. So haben die wirklich mal ausgesehen.

Routine, die den Volkszorn zum Kochen bringt

Quelle: Robert Couse-Baker / flickr.com, Verwendung unter CC-BY-2.0-Lizenz

Quelle: Robert Couse-Baker / flickr.com
Verwendung unter CC-BY-2.0-Lizenz

Die tz berichtet über einen Fall, der die Gemüter im Internet erregt. Eine Flaschensammlerin war wegen Unterschlagung angeklagt worden, weil sie eine gefundene Opernkarte nicht im Fundbüro abgeliefert hat, sondern über eBay verkauft hat (Fundunterschlagung, § 246 StGB). Die Dame wurde freigesprochen. Soweit ist die Volksseele noch erfreut. Nur dann kommt der “Hammer”: Die Staatsanwaltschaft hat Berufung eingelegt! Schon werden die virtuellen Mistgabeln gewetzt und die virtuellen Fackeln entzündet. Wüste Beschimpfungen gegen den Staatsanwalt – der nichmal den Mumm gehabt habe, selbst zur Sitzung zu kommen! – sind die übliche Folge bei Facebook und Co. und die Boulevardmedien berichten nur zu gern darüber, wie schrecklich ungerecht die deutsche Justiz doch sei.

Was natürlich nicht erwähnt wird von den Facebook-lesenden Redakteuren (mutmaßlich) ohne Hintergrundwissen zur juristischen Praxis:

  • Sachbearbeiter nehmen Gerichtstermine in 95% der Fälle selbst nicht wahr, weil Richter nunmal nicht nur Fälle eines Staatsanwalts verhandeln und sonst Staatsanwälte ständig durch die Gegend fahren müssen. Da ist es für die Staatskasse erheblich günstiger, einen Staatsanwalt – der auch Referendar sein kann – zu beauftragen, alle Fälle bei einem bestimmten Richter wahrzunehmen.
  • Weil eben der Sachbearbeiter selbst nicht in der Verhandlung war, weiß er nicht, ob eine Berufung Aussicht auf Erfolg hat. Weil aber die Berufungsfrist im Strafrecht eine Woche nach Verkündung beträgt (§ 314 StPO), hat der Staatsanwalt keine andere Wahl, als Berufung einzulegen.((Gilt auch für Verteidiger übrigens!)) In der Praxis erfolgt die Einlegung der Berufung daher in den meisten Fällen zur Fristwahrung.
  • Ein weiterer Grund für die vorsorgliche Einlegung der Berufung ist auch, dass das schriftliche Urteil erst Wochen oder gar Monate nach der Verkündung (§ 275 StPO erlaubt 5 Wochen in normalen Fällen) vorliegt. D. h. der Staatsanwalt kann erst dann prüfen, ob die Berufung Sinn macht.

Legt man diese Kenntnisse zugrunde, erkennt man, dass hier (noch) die Fackeln und Mistgabeln falsch sind. Aber dann könnte man ja nicht auf die vermeintliche Weltfremdheit der Justiz schimpfen.

PS: Dass die Staatsanwaltschaft hier nicht nach §§ 153 ff. StPO eingestellt hat, ist jedoch merkwürdig.

Warum Ermittlungsrichter doch ihre Daseinsberechtigung haben

Ermittlungsrichter stehen oftmals im Ruf, bloße Durchwink-Maschinen der Staatsanwaltschaft zu sein, die alle Anträge auf Durchsuchungen, Blutabnahmen etc., die von der Staatsanwaltschaft kommen, blind unterschreiben. Auch wenn es sicherlich genug solche Richter gibt, hat der Richtervorbehalt doch seine Berechtigung, wie der nachfolgende Fall zeigt.

Mandant wurde von einem Polizisten in Freizeit schlafend am Steuer seines geparkten Pkws angetroffen. Der Polizeibeamte kombiniert, aufgrund der leeren Whiskey-Flasche am Rücksitz, dass der Mandant dort gefahren sein muss und will eine Blutentnahme nach § 81a StPO angeordnet wissen, damit der Mandant nach § 316 StGB verfolgt werden kann. Dass die Ermittlungsrichterin anhand der von ihm geschilderten Umstände davon ausgegangen ist, dass dem Mandanten nicht nachzuweisen sein wird, dass er a) betrunken gefahren ist (weil ihn keiner hat fahren sehen) oder b) die Flasche Whiskey nicht erst im Auto getrunken hat (wofür vieles sprach), konnte der “seit über 30 Jahren im Polizeidienst” stehende Beamte nun gar nicht begreifen. Er musste also seinem Ärger Luft machen:

Dies ist für mich in keinster Weise nachvollziehbar. Eine Blutentnahme nach den Regeln der ärztlichen Kunst ist im Vergleich zum im Raum stehenden Strafmaß und zur Gefahr die von einer solchen Person für den Straßenverkehr ausgeht ein geringer Rechtseingriff. […] Die Möglichkeit, dass es zu einer Verurteilung kommt, war zudem durchaus realistisch. Dem Beschuldigten wäre es schwer gefallen, alle Verdachtsmomente zu entkräften.

Die nicht getroffene Anordnung der Frau Richterin X. ist mit meinem Rechtsverständnis nicht in Einklang zu bringen.

Mein Mitleid hält sich in Grenzen. Mit meinem Rechtsverständnis ist nämlich nicht in Einklang zu bringen, dass ein Polizist in 30 Jahren nicht gelernt hat, dass die Unschuldsvermutung für alle gilt und es nicht die Aufgabe des Angeklagten ist, seine Unschuld zu beweisen.

Angesichts der Tatsache, dass wir vor nicht allzu langer Zeit einen Mandanten verteidigen mussten, der – trotz fehlenden Nachweis, dass er gefahren ist – wegen § 316 StGB rechtskräftig in drei Instanzen verurteilt wurde (Beitrag hier), ist es geradezu erfrischend, an eine Richterin zu geraten, die ihre Aufgabe (zumindest in diesem Fall) ernst nimmt.

Filesharing: BGH bejaht 10 Jahre Verjährungsfrist u. a.

p2p

Als verfrühtes Weihnachtsgeschenk an die Abmahnindustrie kann man die nun veröffentlichten Urteilsbegründungen zu den Urteilen des BGH vom 12.05.2016 (früherer Post hierzu), bezeichnen, die man auf der Homepage des BGH finden kann und nun auch teilweise Namen erhalten haben, ein Trend, den man beim I. Zivilsenat beobachten kann.

Hier die Links:

Während “Silver Linings Playbook”, wie bereits berichtet, anlasslose Belehrungs- und Überwachungspflichten eine Absage erteilt, sind die anderen Entscheidungen sehr abmahnerfreundlich und verbraucher- und gerichtsunfreundlich. Denn in “Everytime we touch”((Wohl der einzige Grund, wieso man sich in einigen Jahren noch an “Cascada” erinnern wird.)) bejaht der BGH, entgegen der mit guten Argumenten vertretenen Auffassung der überwiegenden Anzahl der Instanzgerichte, eine zehnjährige Verjährungsfrist gem. § 852 BGB für Schadensersatz- (bzw. “Herausgabe-“) Ansprüche der Rechteinhaber:

Der auf die Verletzung des ausschließlichen Rechts zum öffentlichen Zugänglichmachen einer Datei mit dem Musiktitel gemäß § 85 Abs. 1 Satz 1 UrhG gestützte Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz nach den Grundsätzen der Lizenzanalogie gemäß § 97 UrhG ist nicht verjährt, weil er im Sinne von § 102 Satz 2 UrhG, § 852 BGB auf die Herausgabe einer durch die Verletzung dieses Rechts erlangten ungerechtfertigten Bereicherung gerichtet ist […]

Die alljährliche Mahnbescheidsmaschinerie der Abmahnanwälte zum Jahresende dürfte damit dieses Jahr Ansprüche umfassen, die bis ins Jahr 2006 zurückreichen und den ohnehin schon überlasteten Amtsgerichten eine Fülle neuer Verfahren bescheren. Ich hoffe sie wissen, bei wem sie sich dafür bedanken können.

Filesharing: BGH schränkt Nachforschungspflichten wieder ein

Wie der Kollege Solmecke in seinem Blog berichtet, hat der BGH wohl mit von ihm erstrittenen Urteil vom 06.10.2016 – Az. I ZR 154/16 – entschieden, dass die Nachforschungspflicht bei Filesharing-Abmahnung nur die Ermittlung der Nutzungsmöglichkeit des Anschlusses zur Tatzeit umfasst, jedoch der Abgemahnte weder die tatsächliche Nutzung noch gar den Täter ermitteln und benennen muss. Die Urteilsgründe liegen noch nicht im Volltext vor. Der Entscheidung vorangegangen war ein Urteil des LG Braunschweig vom 01.07.2015 – Az. 117 C 1049/14 – welches der BGH damit bestätigt hat.

Wenn der Volltext dies bestätigt, dann ist das eine wirklich willkommene Abkehr von einer Reihe abmahnerfreundlicher Urteile, die zuletzt den Eindruck erwecken ließen, dass ein Abgemahnter sich nur dann erfolgreich verteidigen könne, wenn er nachweist, wer die angebliche Urheberrechtsverletzung tatsächlich begangen hat. Wie die Instanzgerichte reagieren bleibt, gerade in München, abzuwarten.

Arbeitet die Polizei einmal schlecht…

…heilen das auch Staatsanwaltschaft und Gericht meist nicht mehr.

Die Beamten des Polizeidienstes sind gem. § 163 StPO die Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft, mithin also deren verlängerter Arm. Staatsanwälte in der ganzen Republik müssen sich darauf verlassen, was die Polizei ihnen ins Kämmerlein schickt und oftmals wird deren Arbeit selbst dann nicht mehr hinterfragt, wenn sich Zweifel aufdrängen müsste. Schließlich ist man ja in Zukunft wieder auf deren Zuarbeit angewiesen. Deshalb werden landauf und landein täglich fleißig Anklagen und Strafbefehle geschrieben, die allein auf dem Bericht der Polizei beruhen und sich nicht die Mühe machen, deren Arbeit kritisch zu begutachten.

Über einen Musterfall solcher “Arbeit” hatte ich bereits hierhier und hier berichtet. Im Rahmen der obligatorischen Berufungsinstanz – der Staatsanwaltschaft waren 8 Monate Freiheitsstrafe für einen Angeklagten, dessen Tatbeteiligung nicht erwiesen war, zu wenig – kamen noch mehr Details zu Tage, um die sich die Strafrichterin in der ersten Instanz nicht gekümmert hatte.

So war der Einsatzleiter der Polizei vor Ort , Polizeiobermeister M., “frisch von der Akademie” und hat noch nie an einem Einsatz dieser Art teilgenommen (erst recht nicht als Einsatzleiter). Alle Fragen dazu, was die Zeugen vor Ort gesagt haben, musste er mit Nichtwissen beantworten. Welche Kollegen denn noch vor Ort waren (immerhin 8 Stück)? Keine Ahnung. Warum diese in seinem Bericht nicht stehen? Weiß er nicht. Ob er mit diesen vor Fertigung seines Berichts nochmal gesprochen hat? Keine Ahnung. Ob denn stimmen kann, dass ein Kollege den Mitangeklagten habe gehen lassen? Schon möglich. Warum man die Namen der 8-10 Leute nicht aufgenommen habe, die da rumstanden? Naja, die haben ja gesagt, sie hätten nichts gesehen.((Notiz an alle Täter: Einfach behaupten, ihr habt nichts gesehen, dann lässt euch die Polizei gehen.)) Es habe sich ja auch keiner als Zeuge angeboten.((Weil Jugendliche auch so erpicht sind, mit der Polizei zu sprechen.)) Ob denn einer der Kollegen vor Ort per-Du mit dem “Opfer” war? Das könne schon sein, aber er weiß ja nicht mehr, wer denn vor Ort war.

Nachdem der “Frischling”-Polizist (drei Tage später) seinen Bericht über die Nacht geschrieben hatte, wunderten sich weder sein Vorgesetzter noch der nun ermittelnde Kriminalhauptkommisar (KHK) P., ein Mannsbild mit ca. 30 Jahren Berufserfahrung und überdies ein Bekannter des Vaters des “Opfers”, darüber, dass die anderen Polizisten vor Ort nicht als mögliche Zeugen (vom Hörensagen) im Bericht standen und machten sich auch keine Mühe, diese zu ermitteln. Dagegen wurde mit kriminalistischen Scharfsinn unser Mandant als dritter Täter ermittelt. Vom Gericht hierzu befragt, sagte er wörtlich, dass zwar “leider” keiner der Zeugen den Mandanten auf den Wahllichtbildvorlagen habe wiedererkennen können und er auch sonst keine objektiven Beweismittel habe, er sich aber trotzdem gang sicher ist, dass unser Mandant der dritte Täter war. Dies verwirrte sogar die  Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft und die Vorsitzende, sind doch Polizisten normalerweise nicht so ehrlich zuzugeben, dass sie sich auf einen Verdächtigen fixiert haben und versuchen, diesen gegen alle Widerstände als Täter zu “identifizieren”.

Auf meine Frage, wieso er spätestens nach dem dritten Fehlversuch nicht versucht hatte, andere Zeugen in Erfahrung zu bringen, berief er sich darauf, dass man doch eine Zeitungsannonce geschalten habe. Warum man nicht die Mitglieder des Burschenvereins befragt habe, die zahlreich vor Ort waren und alle das “Opfer” kannten? Das könne er jetzt so nicht sagen. Warum man die bekannten Zeugen nicht nach der Identität der weiteren 8-10 Personen gefragt hat, die das Geschehen beobachtet haben? Erschien nicht so wichtig. Warum man nicht das “Opfer” als Auslöser der Schlägerei verdächtigt hatte, obwohl Zeugen übereinstimmend berichtet habe, dass dieser ziemlich betrunken lautstark gestritten habe und die Tatverdächtigen schlichten wollten? Gab es keinen Anlass dazu, er war ja schließlich am Ende der Verletzte.

Das Verfahren führte also, wie berichtet, zur Anklage gegen unseren Mandanten und endete in 1. Instanz mit einer Verurteilung zu 8 Monaten Freiheitsstrafe wegen gefährlicher Körperverletzung. In zweiter Instanz wurde das Verfahren gem. § 153a StPO gegen Zahlung eines geringen Betrags eingestellt.((Wozu der Mandant auch nur bereit war, um die Angelegenheit endgültig sicher zu erledigen, denn der Freispruch “lag in der Luft”.)) Die gefährliche Körperverletzung die die erste Instanz und auch die Staatsanwaltschaft gesehen haben wollen, war für das Berufungsgericht nur mit “Rosinenpickerei” zu rechtfertigen. Eine durchaus treffende Beurteilung der erstrichterlichen Beweis”würdigung”. Das wahre Tatgeschehen aber wird wohl nie mehr ermittelt werden können, mehr als 2 1/4 Jahre nach dem Vorfall. Daran ist die schlampige Polizeiarbeit nicht ganz unschuldig.

OLG München erteilt Freistellungseinwand bei RA-Gebühren eine Absage

In Verkehrsunfallsachen ist ganz unbestritten (außer vielleicht von den Haftpflichtversicherungen), dass der Geschädigte sich zur Regulierung seiner Ansprüche der Mithilfe eines Anwalts bedienen darf. Auch in anderen Schadensersatzfällen kann die Beauftragung eines Rechtsanwalts sachdienlich und daher vom Schädiger zu ersetzen sein. In anderen Fällen darf ein Anwalt auf Kosten des Schuldners beauftragt werden, wenn dieser im Verzug ist.

Selbst wenn der Schädiger/Schuldner die Kosten zu ersetzen hat, gibt es eine Reihe von Kollegen, die grundsätzlich bestreiten, dass die Rechnung des Anwalts überhaupt gezahlt worden sei und verweisen dabei gerne darauf, dass eine unbezahlte Rechnung nur einen Freistellungsanspruch (§ 257 BGB) zur Folge hat, aber keine Zahlungspflicht.((Wirtschaftlich ist das das Gleiche!))

Dieser Argumentation erteilt das OLG München mit dem schon etwas älteren Urteil vom 26.02.2016 – Az. 10 U 579/15 – eine klare Absage, wenn es schreibt:

Nach Bezahlung kann der Geschädigte Zahlung, vor Bezahlung Freistellung (§ 257 BGB) verlangen. Aus prozessualer Sicht gilt jedoch, dass bei unbezahlter Rechnung dann, wenn sich der Schädiger oder seine Haftpflichtversicherung wie hier ernsthaft weigert, Schadensersatz zu leisten (BGH NJW 2004, 1868; NJW-RR 2011, 910 jew. m. w. N.), was auch in einem entsprechenden prozessualen Verhalten (z. B. einem Klageabweisungsantrag) liegen kann (BGH NJW-RR 2011, 910), der Geschädigte sich nicht auf einen Freistellungsanspruch nach § 257 BGB verweisen lassen muss (BGH NJW 1970, 1122 [wo ein Zahlungsanspruch ohne weiteres angenommen wird]; Senat AnwBl 2006, 768 f., st. Rspr., zuletzt DAR 2014, 673 f.; LG Hamburg SP 2013, 32; AG München, Urt. vom 03.04.2009 – 343 C 15534/08 [juris, dort Rz. 28]; AG Karlsruhe NZV 2005, 326 = SP 2005, 144 = zfs 2005, 309 = AGS 2005, 253 = JurBüro 2005, 194; AG Kaiserslautern DV 2014, 238 ff.), weil sich dieser gem. § 250 S. 2 BGB in einen Zahlungsanspruch verwandelt hat (BGH a. a. O.; LG Hamburg a. a. O.). Der Kläger kann dementsprechend hier unabhängig von der Frage, ob er seinen Anwalt bereits bezahlt hat, Leistung an sich verlangen. [Hervorhebungen von mir]

Diese Entscheidung ist sachgerecht, hat der Geschädigte doch einen bezifferbaren Schaden (nämlich dass der Rechtsanwalt einen Anspruch gegen ihn hat), den er auch dann in Geld ersetzt verlangen kann, wenn er die Rechnung noch nicht bezahlt hat. Hoffentlich können solche Urteile dazu beitragen, dass sich manche Kollegen solch unnötige taktische Spielchen abgewöhnen.

PS: Heute flatterte wieder eine Klageerwiderung ins Haus, in der die Bezahlung der Rechnung mit Nichtwissen bestritten wird. Mal sehen, was das AG München dazu sagt.

Steine statt Brot beim EuGH bei offenen WLANs

offline-525700_640Der EuGH hat heute sein mit Spannung erwartetes Urteil zur Haftung öffentlicher WLAN-Betreiber für Urheberrechtsverletzungen verkündet. In dem Verfahren C?484/14 ging es um die Frage, ob Tobias McFadden, ein deutscher Unternehmer, Sony dafür haftet, dass über seinen öffentlichen WLAN-Hotspot urherberrechtlich geschützte Werke verteilt wurden. Diese sogenannte Störerhaftung verneint der EuGH zwar, was auch Ziel von McFadden war.

Schlimmer für alle Betreiber öffentlicher WLANs (und gut für die ohnehin schon ziemlich außer Kontrolle geratene Abmahnindustrie) ist der letzte Teil der Entscheidung, wonach

Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 3 der Richtlinie 2000/31 unter Berücksichtigung der Erfordernisse des Grundrechtsschutzes und der Regelungen der Richtlinien 2001/29 und 2004/48 dahin auszulegen [ist], dass er grundsätzlich nicht dem Erlass einer Anordnung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, mit der einem Diensteanbieter, der Zugang zu einem Kommunikationsnetz, das der Öffentlichkeit Anschluss an das Internet ermöglicht, vermittelt, unter Androhung von Ordnungsgeld aufgegeben wird, Dritte daran zu hindern, der Öffentlichkeit mittels dieses Internetanschlusses ein bestimmtes urheberrechtlich geschütztes Werk oder Teile davon über eine Internettauschbörse („peer-to-peer“) zur Verfügung zu stellen, wenn der Diensteanbieter die Wahl hat, welche technischen Maßnahmen er ergreift, um dieser Anordnung zu entsprechen, und zwar auch dann, wenn sich diese Wahl allein auf die Maßnahme reduziert, den Internetanschluss durch ein Passwort zu sichern, sofern die Nutzer dieses Netzes, um das erforderliche Passwort zu erhalten, ihre Identität offenbaren müssen und daher nicht anonym handeln können, was durch das vorlegende Gericht zu überprüfen ist.

Im Klartext bedeutet dies, dass WLAN-Betreibern in Zukunft möglicherweise aufgegeben werden kann, nicht nur den Zugang zu verschlüsseln, sondern auch noch den Namen aller Nutzer in Erfahrung zu bringen. Insoweit wird man sehen müssen, was das LG München I damit anfängt. Angesichts der sehr abmahnerfreundlichen Rechtsprechung dieses Gerichts sollten die Hoffnungen nicht all zu hoch sein.

Siehe auch:

PS: Damit stellt sich der EuGH gegen die Auffasung seines Generalanwalts, der in seinen Schlussanträgen noch deutlich der Auffassung war, dass auch ein Passwortschutz nicht zumutbar sei.