Routine, die den Volkszorn zum Kochen bringt

Quelle: Robert Couse-Baker / flickr.com, Verwendung unter CC-BY-2.0-Lizenz

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Die tz berichtet über einen Fall, der die Gemüter im Internet erregt. Eine Flaschensammlerin war wegen Unterschlagung angeklagt worden, weil sie eine gefundene Opernkarte nicht im Fundbüro abgeliefert hat, sondern über eBay verkauft hat (Fundunterschlagung, § 246 StGB). Die Dame wurde freigesprochen. Soweit ist die Volksseele noch erfreut. Nur dann kommt der “Hammer”: Die Staatsanwaltschaft hat Berufung eingelegt! Schon werden die virtuellen Mistgabeln gewetzt und die virtuellen Fackeln entzündet. Wüste Beschimpfungen gegen den Staatsanwalt – der nichmal den Mumm gehabt habe, selbst zur Sitzung zu kommen! – sind die übliche Folge bei Facebook und Co. und die Boulevardmedien berichten nur zu gern darüber, wie schrecklich ungerecht die deutsche Justiz doch sei.

Was natürlich nicht erwähnt wird von den Facebook-lesenden Redakteuren (mutmaßlich) ohne Hintergrundwissen zur juristischen Praxis:

  • Sachbearbeiter nehmen Gerichtstermine in 95% der Fälle selbst nicht wahr, weil Richter nunmal nicht nur Fälle eines Staatsanwalts verhandeln und sonst Staatsanwälte ständig durch die Gegend fahren müssen. Da ist es für die Staatskasse erheblich günstiger, einen Staatsanwalt – der auch Referendar sein kann – zu beauftragen, alle Fälle bei einem bestimmten Richter wahrzunehmen.
  • Weil eben der Sachbearbeiter selbst nicht in der Verhandlung war, weiß er nicht, ob eine Berufung Aussicht auf Erfolg hat. Weil aber die Berufungsfrist im Strafrecht eine Woche nach Verkündung beträgt (§ 314 StPO), hat der Staatsanwalt keine andere Wahl, als Berufung einzulegen.((Gilt auch für Verteidiger übrigens!)) In der Praxis erfolgt die Einlegung der Berufung daher in den meisten Fällen zur Fristwahrung.
  • Ein weiterer Grund für die vorsorgliche Einlegung der Berufung ist auch, dass das schriftliche Urteil erst Wochen oder gar Monate nach der Verkündung (§ 275 StPO erlaubt 5 Wochen in normalen Fällen) vorliegt. D. h. der Staatsanwalt kann erst dann prüfen, ob die Berufung Sinn macht.

Legt man diese Kenntnisse zugrunde, erkennt man, dass hier (noch) die Fackeln und Mistgabeln falsch sind. Aber dann könnte man ja nicht auf die vermeintliche Weltfremdheit der Justiz schimpfen.

PS: Dass die Staatsanwaltschaft hier nicht nach §§ 153 ff. StPO eingestellt hat, ist jedoch merkwürdig.

2 Gedanken zu „Routine, die den Volkszorn zum Kochen bringt

  1. Den Berichten nach hat der feige Sachbearbeiter es sogar gewagt, einen Referendar zu schicken. Skandal. Auch wenn zur Ausbildung der Referendare gehört, den Sitzungsdienst wahrzunehmen…. Und das nur noch bei Strafsachen vor dem Amtsrichter, nachdem ihnen inzwischen Jugendgerichte verwehrt sind.

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