Die Pflicht Hartz IV beantragen zu müssen – oder: Warum das Arbeitsamt nicht will, dass man arbeitet

Es gibt unsinnige Regelungen, die bemerkt man erst, wenn es einen selbst trifft. Da ich (leider noch immer) arbeitslos bin, habe ich ein solches Juwel am eigenen Leib erfahren: § 155 I SGB III.

Kurze Erklärung: Nach dem Referendariat musste ich mich, wie alle meine Kollegen, die nicht sofort einen neuen Job gefunden haben, arbeitslos melden, um die Krankenversicherung nicht zu verlieren. Das Arbeitslosengel I, berechnet mit 60% des pauschalisierten Nettoentgelts (§ 149 Nr. 2 SGB III), beträgt bei einem Ex-Referendar “üppige” 500 Euro im Monat. Das reicht natürlich nicht zum Leben, schon gar nicht in einer Stadt wie München. Ein Empfänger von Leistungen nach SGB II (vulgo “Hartz IV”) bekommt ja bereits 382 Euro plus die Kosten für die Miete, also so ca. 800 Euro.

D.h. die Differenz zwischen Arbeitslosengeld I und dem Mindestbetrag, den man zum Leben braucht, muss irgendwo her kommen. Und hier kommt die Genialität des § 155 SGB III ins Spiel: Wenn ich die Differenz erarbeiten möchte – also z.B. mit einem 450 Euro Job – dann wird das auf mein Arbeitslosengeld (minus 165 Euro Freibetrag) angerechnet. D.h. würde ich 450 Euro verdienen, würden davon 285 Euro angerechnet, ich hätte also am Ende des Monats 665 Euro – immer noch zu wenig zum Leben. Wenn ich dagegen Grundsicherung nach SGB II (“Aufstockung”) beantrage, bekomme ich diese ohne Anrechnung komplett. Die Regelungen des Arbeitslosengelds I sehen also ausdrücklich vor, dass man nicht einmal den Mindestbetrag, den man zum Leben braucht, selbst verdienen darf, sondern stattdessen Hartz IV beantragen muss. Der Berater bei der Arbeitsagentur hat mir dies auch zu meiner Verblüffung so bestätigt.

Ich hoffe inständig, dass ich bald eine Stelle finde, so dass ich dieses System verlassen kann. Soviel Unsinn kann man nur eine begrenzte Zeit ertragen…

10 Gedanken zu „Die Pflicht Hartz IV beantragen zu müssen – oder: Warum das Arbeitsamt nicht will, dass man arbeitet

  1. Nicht bös gemeint, aber wie kann man denn z.Z. in München und als Volljurist arbeitslos sein? Wie es jetzt bei den “richtigen” Rechtsanwälten aussieht, weiß ich nicht, aber Juristen sind gefragt …

    • Indem man am besten Strafrecht und allgemeines Zivilrecht kann. Gesucht werden hauptsächlich Wirtschaftsjuristen und das liegt mir einfach nicht. Deshalb bin ich lieber etwas länger arbeitslos bis ich was finde, wo meine Fähigkeiten richtig eingesetzt werden können, anstatt irgendwas zu nehmen, für das ich nicht geeignet bin.
      Wenns mir allein um Arbeit ginge, könnte ich ja auch zur Verwaltung gehen. Aber das Rechtsgebiet liegt mir auch nicht wirklich (von Kommunalrecht mal abgesehen)

  2. Ziemlich überflüssiger Kommentar, auch wenn “nicht bös gemeint”. Ich schätze der Autor ist für entsprechende Jobangebote dankbar, also nur zu.
    Auch ich war im letzten Jahr nach Beendigung des Referendariats geschlagene 9 Monate auf der Suche nach einem angemessenen Job – jaaa, auch als arbeitsloser Jurist darf man meines Erachtens etwas wählerisch sein. Es gibt juristische Tätigkeiten, die widersprechen einfach meinem Rechtsempfinden. Inzwischen bin ich in einem wunderbaren Büro angekommen und sehr zufrieden. Ich kenne das Problem also sehr genau und wünsche viel Durchhaltevermögen und Kraft. Geduld gehört dazu und das Wissen, was man sich selbst Wert ist – aber dann wirds klappen; auch in München!

    • Eben. Ich würde es nicht einmal wählerisch nennen aber – man sucht halt etwas, das den Fähigkeiten entspricht; damit ist sowohl dem Arbeitgeber als auch einem selbst gedient.

  3. Na, wenn das hier der H4 Betreuer liest, gibts erstmal zur Begrüßung ne Sanktion. Weil, nimmt ja nicht jede Arbeit an. Viel ‘Spaß’ mit der Irrsinn. Denn das dient dem Staat bzw. seinem Geldbeutel.

    • “Aufstocker” müssen nicht jede Arbeit annehmen, weil sie ja gerade schon einen Job haben. Aber der Punkt ist ja gerade der: Wenn man Arbeitslosengeld I bekommt, darf man gar keinen Job annehmen um “aufstocken” zu vermeiden.

  4. Der manchem praktisch denkenden Zeitgenossen nun nahe liegende Gedanke, einen Job für Geld zu machen, das man beim Amt nicht angibt, darf hier aber nicht geäußert werden. Oder?

    • Ich gehe davon aus, dass einige Leute das tun in der Situation, weil das Gesetz so schlecht konstruiert wurde – oder sie beantragen halt Hartz IV, was den Staat extra Geld kostet. Pech haben halt diejenigen, die zu ehrlich sind, schwarz zu arbeiten aber gleichzeitig ein paar Euro “zu viel” zur Seite gelegt haben und deshalb kein Hartz IV bekommen.

  5. Pingback: » Hartz IV statt Hinzuverdienst bei Arbeitslosigkeit nach dem 2. Examen | RefNews – Blog zum Rechtsreferendariat

  6. 7 Monate, 450€ Alg1 (Bayern), 150€ Wohngeld

    Kein Fachanwaltslehrgang vom Amt bezahlt (bereits hochqualifizierte Ausbildung mit besten Berufschancen)

    Arrogante Personal-RAe, die einen im Gespräch angehen, man kämpft für 1500€ netto bei 50h pro Woche + Vereinsmeierei danach, die nicht Absagen und trotz Anspruch keine Fahrtkosten (0,3€ pro km) zahlen, weil der Sozialstaat ja das auch übernimmt bei Arbeitslosen und die man deshalb einfach mal so einlädt
    Mein Vorschlag: Such dir n Hobby, lern was für d Rechtsgebiet in der Zeit

    Viel Glück!

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