LG Osnabrück: Automatisiertes Verleiten zum Rückruf kann Betrug sein

Das LG Osnabrück hat mit Urteil vom 6. März 2013 (Az. 10 KLs 38/09, 140 Js 2/07, 10 KLs – 140 Js 2/07 – 38/09) entschieden, dass es als Betrug gem. § 263 I StGB strafbar sein kann, wenn man Handynutzer mit dem einzigen Ziel anruft, dass diese eine teure Rufnummer zurückrufen. Das Landgericht hatte im Jahre 2010 mit Beschluss noch nach § 204 StPO beschlossen, das Hauptverfahren nicht zu eröffnen, da es an der Täuschungshandlung i.S.d. § 263 StGB fehle. Das wurde vom OLG Oldenburg kurz danach auf Beschwerde der Staatsanwaltschaft wieder aufgehoben und die Klage vor dem Landgericht Osnabrück doch zugelassen.

Im Fall hatten die drei Angeklagten mehrere Server so programmiert, dass sie – unter Angabe einer teuren Mehrwertdienstenummer – massenweise Handys anklingeln, einmal Läuten lassen und danach wieder aufzulegen. Dabei haben Sie sich einer 0137-Nummer (bekannt aus Telefonvotings im Fernsehen) bedient, die im Display als +49137… erschien und dadurch die Angerufenen in den Glauben versetzen sollte, es handle sich um eine Nummer aus dem Vodafone-Netz (0173…). Die so kontaktierten Nutzer sollten die Nummer sehen und sich – glaubend es handle sich um eine valide Kontaktaufnahme – bemüßigt fühlen, dort zurückzurufen. Taten sie das, hörten sie nur eine (sinnlose) Bandansage. Die Kosten für das Telefonat erhielten z.T. die Angeklagten.

Das Landgericht, nun der Auffassung des OLG folgend, hat alle drei des Betrugs bzw. der Beihilfe zum Betrug nach § 263 StGB verurteilt. Das Anklingeln lassen, so das Landgericht, beinhalte die Erklärung “der Anrufer strebe über das Herstellen einer Telekommunikationsverbindung eine inhaltlich ernstgemeinte zwischenmenschliche Kommunikation an”. Wolle er dies nicht, so sei dies eine Täuschung im Rechtssinne. Damit sei auch der Irrtum erregt worden, dass die Anrufer mit den Angerufenen sprechen wollten und daher eines Rückrufs würdig seien. Der Rückruf sei vermögendsmindernd gewesen, da er entweder direkt zur Minderung des Guthabens (Pre-Paid) oder zur Entstehung von Ansprüchen (Vertrag) geführt habe.

Das Urteil ist einerseits natürlich nachvollziehbar. Wer sowas macht, sollte – so der wird sich der gute Bürger denken – bestraft werden. Rechtlich sehe ich das etwas komplizierter: Das Landgericht hat bereits 2010 ja erkannt, dass das Verhalten – so “unverschämt” dies sein mag – wohl nicht strafbar ist. Das würde ich auch so sehen. Jemand, der von einer ihm unbekannten Nummer angerufen wird, der glaubt nicht automatisch, dass es ein sinnvoller Anruf war; im Gegenteil, viele Menschen werden bei ihnen unbekannten Nummern – oftmals zu Recht – davon ausgehen, dass der Anruf von einer Person stammt, mit der sie nicht telefonieren wollen und somit auch nicht zurückrufen. Entscheidet man sich zum Rückruf, so tut man dies im Bewusstsein, dass man eben gerade nicht weiß, wer am anderen Ende der Leitung ist. Und die Kosten für ein Telefonat kann und muss jeder selbst für sich berechnen bevor er telefoniert. Die Entscheidung stellt daher m.M.n. eine fatale Erweiterung des § 263 StGB dar. Der Anrufer kann – wenn er eine ihm unbekannte Person kontaktiert – nie wissen, was der Angerufene glaubt, wenn er die Nummer sieht, und liefe daher immer die Gefahr, den objektiven Tatbestand des Betrugs zu erfüllen, wenn der Angerufene – im Glauben ein Rückruf sei erwünscht – auf seine Kosten zurückruft. Dies allein über den fehlenden Vorsatz im subjektiven Tatbestand zu lösen ist dogmatisch unbefriedigend.

Wenn sich der Verteidiger mit aus dem Saal schleicht…

Der BGH hat mit Beschluss vom 10. April 2013 (Az. 2 StR 19/13) ein Urteil des LG Kassel mitsamt der Feststellungen wegen Verstoß gegen § 140 I Nr. 1 StPO aufgehoben (§ 338 Nr. 5 StPO). Das Landgericht hatte dem Angeklagten mit Beschluss gestattet, den Sitzungssaal gem. § 231c StPO zu verlassen, solange ein Zeuge allein zu einem Mitangeklagten befragt würde. Nicht umfasst hat der Beschluss den Verteidiger des Beschwerdeführers. Dies sei auch nicht aus dem Beschluss bzgl. des Beschwerdeführers zu ersehen, so der BGH.

Gleichwohl ging der Verteidiger mit seinem Mandanten in diesem Zeitraum aus dem Saal. Die weitere Befragung des Zeugen fand daher auch ohne ihn statt, obwohl ein Fall der notwendigen Verteidigung nach § 140 I Nr. 1 StPO vorlag. Allein dies genügt schon für den Erfolg der Rüge, da ja mit § 338 Nr. 5 StPO fingiert wird, dass in diesem Fall das Urteil immer fehlerhaft ist.

Da der Zeuge lästigerweise auch noch was zur Tat des Beschwerdeführers ausgesagt hatte in der Zeit, konnte der BGH den Fehler des Landgerichts auch nicht über die Konstruktion retten, dass es “denkgesetzlich ausgeschlossen” sei, dass das Urteil auf der Abwesenheit beruht (vgl. BGH NStZ 2011, 233; BGH StV 2011, 650).

Hier hat das Landgericht erst vergessen, den Beschluss auf den Verteidiger zu erweitern (was nach § 231c StPO ja möglich gewesen wäre) und dann auch noch die Verhandlung fortgesetzt, obwohl der Zeuge ja doch etwas für den Beschwerdeführer relevantes ausgesagt hat – was das Gericht auch noch strafschärfend ins Urteil aufgenommen hat. Es zeigt sich also mal wieder, wie wichtig es ist, die Verfahrensvorschriften zu beachten und dass der Verteidiger doch lieber im Saal bleiben sollte, selbst wenn der eigene Mandant dazu nicht verpflichtet ist.

LG Gießen: Verwendung eines versehentlich erhaltenen Online-Gutscheins nicht strafbar

Das LG Gießen hat mit einem Beschluss vom 29. Mai 2013 (Az. 7 Qs 88/13) entschieden, dass das Verwenden eines einem Dritten zustehenden Online-Gutscheins nicht unter die Strafbarkeit des § 263a StGB fällt.

Eine Kundin hatte einen Geschenkgutschein bei einer Firma erworben, hat sich jedoch bei der Eingabe der E-Mail-Adresse der zu Beschenkenden vertippt. Den Gutschein bekam daraufhin ein unbekannter Dritter, der ihn auch erfolgreich einlöste. Die Staatsanwaltschaft Gießen beantragte daraufhin wegen Verdachts der Unterschlagung(!) und des Computerbetrugs einen Durchsuchungsbeschluss gem. § 103 StPO bei der Firma, um den Dritten zu ermitteln. Das AG Gießen lehnte dies wegen nicht-Vorliegen eines Straftatbestands ab. Das LG Gießen folgte dem auf Beschwerde hin zu Recht.

Bereits jedem Erstsemester-Studenten sollte klar sein, dass Unterschlagung i.S.d. § 246 StGB nicht vorliegen kann, da ein virtueller Gutschein keine “fremde bewegliche Sache” darstellt. Der oder die betreffende Staatsanwalt/-wältin hat also im besten Fall versucht den Antrag auf alles Mögliche zu stützen bzw. ist im schlimmsten Fall schlechter ausgebildet als jeder Student nach ein paar Vorlesungen Strafrecht. Sehr schnell lehnt das LG Gießen die §§ 202a-202c, 303a, 303b StGB ab, da diese nicht einschlägig seien. Der Rest der Entscheidung liest sich ein wenig wie ein Lehrbuch, warum § 263a StGB nicht einschlägig ist, was für die Examensvorbereitung und natürlich auch für übereifrige Staatsanwälte eine gute Lektion ist. Kurz zusammengefasst weißt das Landgericht darauf hin, dass § 263a StGB dazu dient, die Strafbarkeit des § 263 StGB auf Fälle anzuwenden, wo keine Person getäuscht wurde, sondern eine Maschine, um dann korrekterweise zu folgern, dass ein Mensch an Stelle der Maschine sich auch keine Gedanken gemacht hätte, von wem der Geschenkgutschein eingelöst wird, sondern nur darüber, ob der Gutschein von der Firma tatsächlich so ausgegeben wurde. Dies ist auch sachgerecht, da es ja gerade Sinn eines Geschenkgutscheins ist, dass auch ein bisheriger Nichtkunde diesen einlösen können soll.

Die Pflicht Hartz IV beantragen zu müssen – oder: Warum das Arbeitsamt nicht will, dass man arbeitet

Es gibt unsinnige Regelungen, die bemerkt man erst, wenn es einen selbst trifft. Da ich (leider noch immer) arbeitslos bin, habe ich ein solches Juwel am eigenen Leib erfahren: § 155 I SGB III.

Kurze Erklärung: Nach dem Referendariat musste ich mich, wie alle meine Kollegen, die nicht sofort einen neuen Job gefunden haben, arbeitslos melden, um die Krankenversicherung nicht zu verlieren. Das Arbeitslosengel I, berechnet mit 60% des pauschalisierten Nettoentgelts (§ 149 Nr. 2 SGB III), beträgt bei einem Ex-Referendar “üppige” 500 Euro im Monat. Das reicht natürlich nicht zum Leben, schon gar nicht in einer Stadt wie München. Ein Empfänger von Leistungen nach SGB II (vulgo “Hartz IV”) bekommt ja bereits 382 Euro plus die Kosten für die Miete, also so ca. 800 Euro.

D.h. die Differenz zwischen Arbeitslosengeld I und dem Mindestbetrag, den man zum Leben braucht, muss irgendwo her kommen. Und hier kommt die Genialität des § 155 SGB III ins Spiel: Wenn ich die Differenz erarbeiten möchte – also z.B. mit einem 450 Euro Job – dann wird das auf mein Arbeitslosengeld (minus 165 Euro Freibetrag) angerechnet. D.h. würde ich 450 Euro verdienen, würden davon 285 Euro angerechnet, ich hätte also am Ende des Monats 665 Euro – immer noch zu wenig zum Leben. Wenn ich dagegen Grundsicherung nach SGB II (“Aufstockung”) beantrage, bekomme ich diese ohne Anrechnung komplett. Die Regelungen des Arbeitslosengelds I sehen also ausdrücklich vor, dass man nicht einmal den Mindestbetrag, den man zum Leben braucht, selbst verdienen darf, sondern stattdessen Hartz IV beantragen muss. Der Berater bei der Arbeitsagentur hat mir dies auch zu meiner Verblüffung so bestätigt.

Ich hoffe inständig, dass ich bald eine Stelle finde, so dass ich dieses System verlassen kann. Soviel Unsinn kann man nur eine begrenzte Zeit ertragen…

Lesehinweis: Teresa Z. und der falsch verstandene Korpsgeist

Peter Fahrenholz hat auf sueddeutsche.de einen guten Artikel zu Polizeigewalt im Allgemeinen und zum Fall Teresa Z. im Besonderen veröffentlicht mit dem Titel “Falsch verstandener Korpsgeist“.

Für diejenigen, die Münchner und bayerische Nachrichten nicht verfolgen: Im Fall Teresa Z. geht es darum, dass die genannte Dame – im Rahmen eines Streites mit ihrem Freund – auf die Polizeiwache München-Au mitgenommen wurde. Dort sei sie, laut Polizei, ausgerastet und sei fixiert werden müssen. In diesem Zustand, von mehreren männlichen Polizisten festgehalten, habe sie einen davon bespuckt, was dieser als so schweren Angriff ansah, dass er ihr mehrmals mit dem Faust ins Gesicht schlagen musste bis ihre Nase gebrochen war – aus Notwehr wie er meint. Der Rest der Polizei war bemüht, das Opfer zu diskreditieren, auch der Polizeipräsident und der Innenminister spielten dieses Spiel mit. Da wurden Drogenverbindungen gesucht, psychische Probleme unterstellt und Medienkontakte ausgeforscht. Die Staatsanwaltschaft München I hat dennoch Anklage gegen den Polizisten erhoben, was schon einmal positiv klingt. Fraglich ist nur, ob das auch entsprechende Konsequenzen hat, so scheint die Anklage selbst stellenweise ungenau und fehlerhaft zu sein – und nicht einmal die Aussage des Opfers zu enthalten.

Alles in allem ist der Fall also einer, bei dem die Münchner – und bayerische – Polizei sich nicht mit Ruhm bekleckert hat. Viele Pannen, die Weigerung Fehler einzugestehen und zu verfolgen und falscher Korpsgeist zerstören das Vertrauen in die Polizei, das in einem Rechtsstaat unbedingt nötig ist. Dann auch noch den Wilhelm Schmidbauer, der wie kaum ein zweiter für solches Verhalten steht, zum Landespolizeipräsidenten befördern zu wollen, bedeutet nicht nur den Bock zum Gärtner zu machen, sondern würde auch das falsche Signal senden, dass solches Verhalten von oberster Stelle sanktioniert wird.